Zoë Beck: Brixton Hill und 2/14 von Nathan Larson

Die Zukunft des Kriminalromans

Zoë Beck: Brixton HillGleich die ersten 20 Seiten machen klar: Dies ist nicht Ihr normaler Tütensuppen-Kriminalroman. Hier schreibt jemand mit eigener, klarer, fester Stimme. So knapp und prägnant, dass man meinen könnte, eine besonders gelungene Übersetzung aus einem besonders lakonischen Englisch vor sich zu haben. Zoë Beck ist zwar ziemlich anglophil – London kennt sie wie ihre Westentasche, ihre Kriminalromane spielen meistens dort – aber sie ist ein einheimisches Gewächs: Übersetzerin, Autorin, Kolumnistin, Synchronredakteurin und zusammen mit Jan Karsten Verlegerin des E-Book-Verlages CulturBooks. Mit anderen Worten, ein scharfzüngiger, sprachmächtiger und sprachbewusster weiblicher Tausendsassa, eine Autorin, der es sich lohnt, auf den Fersen zu bleiben.

»Brixton Hill« beginnt mit einer Panik in einem supermodernen Appartementgebäude an der Londoner Canary Wharf, die eine Frau namens Kimmy Rasmussen das Leben kosten wird. Mit schnellen, harten Strichen zeichnet Zoë Beck das Porträt dieses neuen Stadtviertels, in dessen U-Bahnstation Kurzfilme laufen: »Wer hier seine Büroräume eröffnete, dachte in Millionen und Milliarden … Canary Wharf war das Herzstück der Docklands: Es wuchs immer weiter, es würde noch zwanzig Jahre lang eine Großbaustelle sein. Man hatte nur vergessen, tatsächlich ein neues Herz einzupflanzen. Wenn man genau hin sah, war Canary Wharf tot.«

Emma »Em« Vine, die auf die Regie von Megashows abonnierte Freundin der Toten, wird den ganzen Roman vielen Phantomen und einem Mörder nachjagen. Ein Unbekannter feuert ihre Suche mit Twitter-Nachrichten an: »Zähl die Stunden, die dir bleiben.« All die neuen Medien sind Em selbstverständlich, wenn sie aufwacht, schaut sie als erstes nach Mails und Facebook-Account. Wie es den hardboiled-Helden seit Hammett und Chandler gut ansteht, hat Em eine scharfe Zunge. Zoë Beck gibt das Gelegenheit zu vielen sehr ausgeschlafenen Bemerkungen über den Zustand unserer Welt, unserer Moral und unserer Gier.

»Zwischen den Menschen hatte sich nicht viel verändert. Sie wollten vor allem geliebt werden. Jetzt eben im Internet. Sie schrieben auf Facebook über ihre Befindlichkeiten und präsentierten Fotos und stellten Musik vor, damit ihre Freunde sagen konnten: ›Gefällt mir‹. Sie hatten Freunde, die keine waren, Freunde, die sie nicht wirklich kannten. Was daran sollte neu sein, oder anders?«

Zwischen März und Mai 2013, in den Tagen von Margret Thathers Tod und Beerdigung, handelt »Brixton Hill«. Der Titel ist mehr als nur ein Verweis auf einen besonders von Spekulation gebeutelten Londoner Stadtteil. Tiefer und tiefer lässt Zoë Beck ihre aus einer Bankiersfamilie stammende Heldin graben, vermeidet Schwarzweiß-Zeichnungen, enthüllt Schicht für Schicht kapitalistischen Widersinn. Das Buch rundet sich zu einem sich immer politischer erweisenden Kriminalroman. Ein Polit-Thriller, bin ich versucht zu sagen. So elegant und (scheinbar) unangestrengt kenne ich das nur von großen Meistern. Hier ist eine Perle zu entdecken.

Nathan Larson: 2/14Und dann ist da ein Buch aus New York, in Anlehnung an 9/11 mit »2/14« betitelt. Nathan Larson, bislang als Punk- und Filmmusiker aufgefallen (etwa zu »Boys don’t cry« und »Margin Call«), katapultiert uns in ein postapokalyptisches New York. Die »Begebenheiten« vom 14. Februar haben New York entvölkert und nur ein Zehntel seiner Bewohner übrig gelassen. Dewey Decimal, ein ehemaliger Soldat, medikamentenabhängig und ziemlich durchgeknallt, ist der letzte Verwalter der New York Public Library, erledigt Jobs für einen Bezirksstaatsanwalt. Um durchzukommen, folgt er einem System – dem »Dewey Decimal System«, so auch der Originaltitel – aber ist es eines? Larson erzählt vom Chaos und von Menschlichkeit.

»2/14« ist nicht irgendeine weitere dystopische Zukunftsversion. Hier wird das Noir-Genre erneuert, hier weist eine Linie vom verrückten Harlem des Chester Himes, den wilden Phantasien von Philip K. Dick und dem magischen Realismus eines Jerome Charyn in die Zukunft des Kriminalromans. »We should all be so crazy«, meinte Robert Ferrigno (der selbst eine Trilogie um ein von Islamisten und Seperatisten beherrschstes Amerika vorlegte) über Nathan Larson Figur. Der Roman ist in der kleinen feinen Reihe »Penser Pulp« im (eigentlich) Philosophie-Verlag Diaphanes erschienen. Zwei weitere Dewey-Decimal-Bände warten in dessen Schatten.

 

Die Bücher von Zoë Beck:
Brixton Hill, Heyne, 2013.
Das zerbrochene Fenster, Bastei-Lübbe, 2012
Edvard, Jugendroman, Baumhaus, 2012
Der frühe Tod, Bastei-Lübbe, 2011
Das alte Kind, Lübbe, 2010
Wenn es dämmert, Lübbe, 2008
Als Henrike Heiland:
Für immer und ledig?, Heyne, 2011
Von wegen Traummann!, Heyne, 2010
Blutsünde, Bastei-Lübbe, 2007
Zum Töten nah, Bastei-Lübbe, 2007
Späte Rache, Bastei-Lübbe, 2006.
Die Romane von Nathan Larson:
2/14 (The Dewey Decial System), Penser Pulp, Diaphanes Verlag, 2014
The Nervous System, Akashic Books, 2012
(Dewey Nr. 3, in Vorbereitung).

 

 

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