Wie sehr unser aller Alltag bereits von künstlicher Intelligenz dominiert wird, zeigt Mascha Pitz‘ »JOYn4Utopia« in einer nicht allzu fernen Zukunft. Dem Durchschnitts-Olaf steht in seinem Durchschnittsleben in seiner Durchschnitts-Wohnung die allumfassende App JOY zur Verfügung, die ihm nicht nur die Wohnung, sondern auch seine diversen social media accounts, sein Bankkonto, seine Einkäufe, sein Abendessen und seine Freundin pflegt. Und wenn Letztere mal wieder nicht da ist, vermittelt sie auch gleich das nächste Date mit einer passenden Durchschnittsfrau. Oder ein Tier zum Streicheln für den Übergang. Der neueste Trend: Real Life Simulation. Sand und Strand und Cocktails und Palmen in deinem Wohnzimmer. Wahlweise mit oder ohne Werbeeinblendungen.
Florian Mania, zuletzt in »Tintenherz« am Schauspiel, gibt diesen Durchschnitts-Olaf zwischen naiver Neugier, kompletter Überforderung und steigender Wut. Susanne Buchenberger, die lange zum Schauspiel-Ensemble gehörte, ist zunächst »nur« die weiche schmeichelnde Siri-Assistentin Joy aus dem Off, steigt aber später auch leibhaftig in Olafs Leben, so dass dieser nicht mehr so ganz auseinander halten kann, was jetzt real und was Simulation ist. Und wieviel Grad an Echtheit der Homo sapiens für seine Existenz als Homo faber eigentlich braucht.
Der Zuschauer sitzt nicht nur im Viereck rund um das Wohnzimmer mit Kühlschrank und zwei Bildschirmen (Bühne, Ausstattung: Thomas Unthan) und schaut Olaf beim analogen und digitalen Leben zu, er darf auch per App eingreifen. Immer wieder poppen neue Fragen auf zwei weiteren Bildschirmen (Online-Regie: Franziska Bosselmann) oder dem eigenen Smartphone auf, die man beantworten und damit den weiteren Fortgang beeinflussen kann. Einfühlen in das Hin- und Hergerissen-Sein zwischen Bequemlichkeit und gesunder Skepsis kann man sich ohnehin sehr gut.
Während also die dargestellte Welt ein auf fast schon beängstigende Art komplett digitale ist, ist das theatrale Drumherum herrlich altbacken analog. Paketlieferungen werden von ständig präsenten Helfern (vom Bockenheimer Theaterensemble) auf die Bühne geworfen, der Kühlschrank von hinten immer wieder passend befüllt, Sand rieselt in die Wohnung aus einem über der Bühne aufgehängten Plastikeimer. Und die jeweils der Stimmung des Protagonisten entsprechende Musik kommt live vom Multiinstrumentalisten Christopher Herrmann. Nichts ist geheim, nichts versteckt, alles offen. Transparenz.
Mascha Pitz orchestriert in ihrer ersten freien Inszenierung diese wunderbar stimmige und konsequente kleine dystopische Utopie, die so nahe an unserer alltäglichen Wirklichkeit ist, dass man sich fast schon fragt, was denn eigentlich dabei jetzt die Utopie sein soll. Bis das Smartphone nach der Show wieder unfassbar wichtig vibriert.