Das Kellertheater bringt Florian Zellers Komödie »Eine Stunde Ruhe« in Post-Corona-Besetzung

Der Titel seines Lieblingssongs passt ganz hervorragend zu ihm, lässt sich doch »Me, Myself & I« am besten mit Ich, Ich & Ich übersetzen. Er, Michel, wohlsituierter Zahnarzt, hat die Jazz-Nummer als kostbares, rares Vinyl aus den Tiefen des letzten Jahrhunderts auf dem Flohmarkt ergattert und ist mit ihm hoch aufgeregt nach Hause gestürmt, um sie in aller Ruhe zu genießen. Dumm nur, dass seine Frau Nathalie ausgerechnet jetzt mit ihm über die Beziehung reden will. Ihre Sorgen seien doch gänzlich grundlos, versichert er ihr mit Hundeblick und Schielauge zum Plattenspieler. Selbst ihr Geständnis, ihn vor 30 Jahren betrogen zu haben, kann Michel nicht berühren. Sei doch längst verjährt, beschwichtigt er lachend – und irritiert sie noch mehr: »Du fragst ja nicht mal, mit wem?«
Weil ein Unglück selten allein kommt, hier aber in der Stärke einer Handballmannschaft antritt, meldet sich prompt Maman am Telefon, steht sein sich nun »Fucking Rat« nennender Sohn Sébastien, Schlagzeuger der Gothic-Punkband The Fuckers, plötzlich im Raum, ist der sich als Pole ausgebende portugiesische Klempner dabei, das Bad kaputt-zu-sanieren, stürmt der ringelbesockte Nachbar von unten in die Wohnung, weil es von seiner Decke tropft, und stellt sich auch noch Nathalies beste Freundin Elsa ein, mit der Michel ein Verhältnis hat. Ihr schlechtes Gewissen treibt sie, endlich Schluss zu machen mit dem Versteckspiel.
Florian Zellers etwas sehr leichte, vor allem leicht durchschaubare Komödie gab es vor vier Jahren schon im Fritz Rémond, manche kennen sie vielleicht als Film. Sie amüsiert zunächst durch die witzigen und windigen Dialoge seines sehr distinguiert agierenden Protagonisten und spitzt sich dann in extremo zum Klamauk mit im Klipp-Klapp-Rhythmus anstürmenden skurrilen Figuren. Aber sie fesselt auch damit, dass dieser Michel, den man anfangs noch als Musikfan mit Nachsicht verfolgt, sich im Verlauf als ein ziemliches Arschloch entpuppt. Ein Ego-Shooter, der nur sich selbst wertschätzt – und nach der nicht ganz überraschenden finalen Wende in allen Bereichen seine verdiente Quittung erhält.
Dem Kellertheater erlaubt es »Eine Stunde Ruhe« unter der Regie von Thomas Steinkopff endlich einmal wieder in größerer Besetzung, hier zu siebt, die wie stets schlicht möblierte Bühne (Steinkoff/Ladislava Biondi) zu bespielen: mit obligatorischem Sofa nebst Beistelltisch und Sessel im Zentrum sowie einem Regal mit Plattenspieler an der Seite. Trefflich sind die Rollen des dauerpräsenten Michel (Christian Brost), der eine Mammutaufgabe grandios bewältigt, und der beiden Frauenfiguren besetzt. Esther Garcia gibt die gestresste Nathalie als wandelnde Migräne im Home-Office-Look erstaunlich ernst und Annelie Eichhorn ihre aufgebrezelte langbeinige Elsa im kürzesten aller Sommerkleider mit Rosenmuster (Kostüme: Biondi) als Hingucker an die Rampe. Ihre besten Szenen erlebt die Inszenierung in Michels permanent wechselnden Dialogen, wozu unbedingt auch der Kulturclash mit Sohn »Fucking Rat« (Marcel Zauner-Wieczorek) gehört. Mit wachsendem Personal und steigender Turbulenz auf der Bühne sei empfohlen, mehr mit dem Herzen zu sehen und zu hören. Was denn auch geschieht: tosender Applaus.

Winnie Geipert
(Foto: © Anja Kühn)

Termine: 15., 16. April, jeweils 20.30 Uhr
www.kellertheater-frankfurt.de

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