Joseph Roths »Hiob« am Schauspiel Frankfurt

Atem anhalten. Was kann alles schief gehen, wenn man so einen Jahrhundertroman wie »Hiob« von Joseph Roth auf die Bühne hievt, wie will man DIESE Sprache dramatisieren, die selbst ein einziges Kunstwerk ist, so zart, so kostbar, so musikalisch, und ein Prisma ist auch die schwebende Welt, die darin geschildert wird. Haltbarkeitsdatum: ewig.
Und wenn solch ewige Worte, solch ewige Wahrheiten auf die vergängliche Bühne klettern, was bleibt davon?
Fein und leicht gelingt die Einstimmung. Im Halbdunkel ist der Raum gefangen, ein zierlicher, von der Zeit patinierter Holzpavillon in einer Ecke, ganz zarte Musikarabesken, ein bisschen Klezmer, ein bisschen Folklore. Man ist sofort eingestimmt auf das, was da kommt, sofort ist man drin in der Fabel, die im russischen Zarenreich spielt, in Zuchnov, ein Pünktchen Dorf schwimmend im Meer aus Land, und sie erzählt vom Schicksal des Juden Mendel Singer und seiner Familie – sofort ist die Stimmung da, die Joseph Roth beschworen hat. Die Musik von Daniel Kahn und Christian Dawid ist schlicht fabelhaft.
Und dann: Grad ist hier ein zartes Gewebe gesponnen, schon wird es zerrissen: »Was ist das Leben?« fragen die auf die Bühne gestürmten Schauspieler das Publikum, drastisch, aufdringlich, so gar nicht passend. Das ist nicht das Thema, welches den Roman bewegt. Glauben, Nicht-Glauben, das Schicksal selbst in die Hand nehmen, auf Gottes Weisung warten, um diese vermeintliche Klarheit ringen Mendel und Deborah Singer unentwegt, das ist der Stoff, der die Geschichte, das Gleichnis von Hiob nährt. Wenn man mit dem Leben käme, ja dann wäre der ganze Roman (vom Schluss her betrachtet) doch gar nicht verstanden worden? Die befragten Zuschauer antworten dann auch brav »Freiheit« und »Frieden«, sie hätten aber auch »Blaubeerpfannkuchen zum Frühstück« sagen können.
Diese perspektivische Verengung, welche die Regisseurin Johanna Wehner da vornimmt, steht im Weg, das ist klar, aber es gibt ja immer noch den 1894 im polnisch-ukrainischen Galizien geborenen Joseph Roth, und auf den ist halt Verlass. Mendel Singer ist ein in Bescheidenheit und Gottesfürchtigkeit lebender Lehrer von sechs Thoraschülern, die er im einzimmrigen Familienhäuschen unterrichtet. Mit ihm leben seine Frau Deborah und seine drei fast schon erwachsenen Kinder Jonas, Shermajah und Miriam. Deborah wird noch einmal schwanger, der Sohn Menuchim, den sie gebiert, kommt schwer behindert zur Welt. Dies ist die erste Prüfung, die der Familie ins Haus steht, es werden noch weitere folgen. Der erste Weltkrieg bricht aus, Jonas schließt sich der russischen Armee an, wo er schon immer hinwollte, Shermajah gelingt die Flucht nach New York, Miriam bandelt mit Kosaken an und lernt die Liebe lieben. Das Leben, es rinnt dahin. Doch leider gerät Johanna Wehner der mäandernde Bach, der die Natur beseelt und befruchtet, zum betonierten Kanal.
Caroline Dietrich, Heidi Ecks, Stefan Graf, Agnes Kammerer, Nils Kreutinger, Christoph Pütthoff und Matthias Redlhammer in zurückhaltend historisierenden Kostümen werfen sich die Rollen zu wie Bälle, turnen bewegt über die Bühne. Ganz allmählich festigen sich die Konturen des Personenensembles, doch eines bleibt kollektiv herausgespielt: das Gedächtnis, die Erinnerung. Der Wechsel zwischen Erzähltem und Dramatisiertem gelingt, die Vielstimmigkeit von Perspektiven wird sichtbar; der Zauber der Sprache – er schillert.
Wenn nur nicht das permanente Gezerre an der Frage »Was ist das Leben« wäre, die immer wieder ans Publikum weitergeleitet wird. So, als müsste man dieser Fabel unbedingt eine neue Richtung aufzwingen. Das Fließende, das Schwebende, das Unglaubliche in ein Koordinatensystem zwingen. Wozu? Warum sind die Rollen nicht von vorne herein definiert? Bei dieser Besetzungsliste ist doch klar, dass Heidi Ecks die Deborah spielen wird und Matthias Redlhammer den Mendel, was sie dann auch tun? Durch das Rollengespiel will sich für die Geschichte kein Gewinn einstellen, weil es dann doch nicht durchgehalten wird. Außer dem einen, der auf dem Papier steht, also ein ausgedachter. Und das ist das Gegenteil von sinnlich. Und natürlich kommt man hier beim Thema Impfen auf Corona, bittschön. Ach je.
Es gelingen aber immer wieder herzzerreißende, exquisite Miniaturen, so wie Heidi Ecks als Deborah die Flucht verweigert, weil sie ihr krankes Kind nicht zurück lassen will, so wie Christoph Pütthoff die Moderne in New York beschreit, bebrüllt gar, so wie Matthias Redlhammer letztendlich vom Glauben abfällt, um dann doch ein Wunder zu erleben.
Unterstützt von einer feinen Lichtregie, ist es vor allem die klug austarierte Rhythmik, die die Inszenierung trägt. Und natürlich »Hiob« von Joseph Roth. Unbedingt lesen.

Susanne Asal (Foto: © Birgit Hupfeld)

Termine: 2., 4., 11., 20., 24.,25. Juni; 19.30 Uhr; 12. Juni, 18 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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