39. Deutscher Krimipreis 2022

Glänzend geschrieben

Die sechs besten Kriminalromane des letzten Jahres

Der Deutsche Krimipreis ist die älteste deutsche Auszeichnung für dieses Genre. Seit 1985 sucht eine Jury aus Kritiker*innen, Literaturwissenschaftler*innen und Krimi-Buchhändler*innen die besten Kriminalromane des Jahres aus. Eben solange ist unser Kolumnist Alf Mayer dort Jurymitglied.
Vergeben in den Kategorien National und International werden jeweils drei Romane gewürdigt, die inhaltlich originell und literarisch gekonnt dem Genre neue Impulse verleihen. Der Preis ist (leider) undotiert.

Hier die nationalen und internationalen Preisträger des Jahres 2022:

1. Platz:
Johannes Groschupf: Die Stunde der Hyänen (Suhrkamp)
2. Platz:
Oliver Bottini: Einmal noch sterben (Dumont)
3. Platz:
Sybille Ruge: Davenport 160×90 (Suhrkamp)

1. Platz:
Riku Onda: Die Aosawa-Morde (Atrium). Deutsch von Nora Bartels
2. Platz:
Jacob Ross: Die Knochenleser (Suhrkamp). Deutsch von Karin Diemerling
3. Platz:
Cherie Jones: Wie die einarmige Schwester das Haus fegt (CulturBooks). Deutsch von Karen Gerwig

Die Experten dazu:
Die Stunde der Hyänen: In der Hauptstadt brennen seit Monaten nachts PKWs. Berliner Autofahrer fühlen sich allein gelassen und gehen in ihrem Kiez auf »Bürgerstreife«, während der polizeiliche Staatsschutz linken Unrat wittert. Die junge Polizistin Romina Winter ist gerade frisch zum Dezernat für Branddelikte versetzt worden und patrouilliert durch die nächtliche City. Durch die streift auch der Postbote Maurice Jaenisch, der ganz sicher weiß, dass die Stadt von Satan beherrscht wird. Auch Jette Geppert ist unterwegs. Sie ist Reporterin bei Kriminalprozessen in Moabit und ein Super-Recognizer: Sie kann Gesichter zuverlässig wiedererkennen.
»Erpressung, Seelenzerstörung, Missbrauch – alles von Groschupf in klarer, erdnaher, bodenständiger Sprache gefasst. Der Kampf aller gegen alle um einen Hauch Anerkennung, um einen Fleck, an dem sie sie sein können, endet wie im Märchen: in einem reinigenden Feuer. (…) Johannes Groschupf hat nach ›Berlin Prepper‹ und ›Berlin Heat‹ in seinem dritten Kriminalroman einen neuen Weg eingeschlagen, und der führt zu ganz Großem.« (Tobias Gohlis, Deutschlandfunk Kultur)

Einmal noch sterben: Februar 2003. Nach den Anschlägen von New York steht der Krieg gegen den Terror vor einem weiteren Höhepunkt: Die USA und ihre Verbündeten bereiten sich darauf vor, in den Irak einzumarschieren. BND Agent Frank Jaromin ist gerade von einem Einsatz in Bosnien zurückgekehrt, da kommt ein hochbrisanter Auftrag aus dem Kanzleramt: Eine irakische Regimegegnerin behauptet, die Vorwürfe, die den Krieg legitimieren sollen, seien erfunden, es gebe im Irak nachweislich keine Massenvernichtungswaffen.
»Unter der reichlich vorhandenen Action und den oft herzzerreißenden Schicksalen der Figuren liegt ein bitterböser Kommentar zu den politischen Verhältnissen, bei dem das ›damals‹ ganz schnell zum ›heute‹ wird, wenn man (…) die Mechanismen von Weltpolitik aus einer fiktionalen Perspektive betrachtet.« (Thomas Wörtche, Deutschlandfunk Kultur)

Davenport 160×90: Frankfurt am Main: Sonja Slanski betreibt eine Inkassofirma, die sich auch um andere Dinge im unreinlichen Wirtschaftsbereich kümmert. Von einer undurchsichtigen Society-Lady bekommt sie den Auftrag, eine hochkriminelle Anwaltskanzlei zu ruinieren, egal, mit welchen Mitteln. Slanski erledigt diesen Job ziemlich gründlich, noch nicht wissend, dass diese Klientin die Gattin ihres Gelegenheitslovers ist. Überraschend taucht ihre Halbschwester Luna auf. Als Luna einige Zeit später tot in Slanskis Wohnung liegt, weiß Slanski nicht, ob nicht eigentlich sie gemeint war … »Diese Frau kann schreiben. Und wie. Große Verneigung. Das Buch ist ein höchst vergnüglicher, extrem unterhaltsamer und bewundernswert intelligenter Ritt auf der Rasierklinge, viele ihrer Sätze zum Schneiden scharf.« (Alf Mayer, strandgut)

Die Aosawa-Morde: An einem stürmischen Sommertag veranstaltet die Familie Aosawa ein rauschendes Fest. Doch die Feier verwandelt sich in eine Tragödie, als siebzehn Menschen durch Zyanid in ihren Getränken sterben. Jahre später versuchen die Autorin eines Buches über das Verbrechen und ein Ermittler, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Doch die Wahrheit ist immer nur das, was wir aus unserer Perspektive sehen.
»Diese narrative Struktur ist mutig, innovativ und überzeugend. Onda liefert bis zum Ende ihres Romans keine Eindeutigkeiten, stattdessen bleibt bei Details offen, ob sie ein Zufall oder ein Indiz sind. Die Wahrheit über die Giftmorde sucht man vergebens.« (Sonja Hartl, Deutschlandfunk Kultur)

Die Knochenleser: Camoha, eine Insel der Kleinen Antillen: Dort wird der junge Michael »Digger« Digson von dem mysteriösen Detective Superintendent Chilman für eine Polizeitruppe rekrutiert, die gegen alle Korruption und alle politischen Widerstände effektive Polizeiarbeit leisten soll. Digger lässt sich zum Forensiker ausbilden und wird ein Virtuose des »Knochenlesens«. Zudem ist er auf der Suche nach seiner Mutter, die spurlos verschwunden und vermutlich ermordet worden ist. »Wie bei jedem guten Kriminalroman der Welt kommt es auch bei ›Die Knochenleser‹ viel weniger auf die Handlung an, als auf Atmosphäre, aufs Riechen, Hören, Schmecken, auf Differenzierung, Tiefe, nuancierten Erzählton.« (Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau)

Wie die einarmige Schwester das Haus fegt: Die Legende sollte Lala eigentlich davor warnen, was mit Mädchen geschieht, die ihren Müttern nicht gehorchen. Doch für Lala ist es die verheißungsvolle Geschichte einer Abenteurerin, und als sie erwachsen ist und auf schreckliche Weise ein Baby verliert, schöpft sie daraus Hoffnung auf ein besseres Leben, weit weg von der Armut, weit weg von Adan, ihrem brutalen Mann. »Die Wörter prasseln beim Lesen auf einen ein, es gibt in der hervorragenden Übersetzung von Karen Gerwig kein Entrinnen. Der Roman besticht durch seine Sprache, Unmittelbarkeit und Komplexität – Gewalt gegen Frauen ist hier kein bloßes Mittel, es geht nicht um den Effekt.« (Sonja Hartl, CulturMag)

Siehe auch: www.deutscher-krimipreis.de

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