Annegret Helds »Räuberballade« aus dem Westerwald

Es geht, wie immer bei ihr, hoch her, derb und deftig zu. Handlungsarm waren ihre Geschichten noch nie. Ihre neue Räuberballade, die zu Zeiten des Schinderhannes, natürlich wieder im Westerwald spielt, schließt die Trilogie ab, die mit »Apollonia« (2012) und »Armut ist ein brennend Hemd« (2015) schon stark begonnen hatte. Es ist eine Geschichte des Westerwalds, also von Armut, Elend, aber auch von dem Widerstand gegen die widerwärtigen Lebensbedingungen, und von Lebenslust und Lebenskraft.

»Das Dorf, in dem ich geboren wurde, ist für nichts und niemanden interessant.« Die Leute heißen Honiels, Dapprechter, Wissemichels. Sie sterben nie, wenn doch, »wächst sofort einer nach, und der ist dann genauso«. Es geht wieder um Scholmerbach, dem Dorf im Westerwald, um das die Weltgeschichte »herumgetrampelt, aber niemals mittendurch« gegangen ist, und es geht um seine Bewohner.
Zum Beispiel dem 16 jährigen Hannes, der von seinem Vater Wilhelm so übel verprügelt wird, dass er von zu Hause wegläuft und sich einer Räuberbande anschließt. Die Räuber heißen Schirwelfritz, stinkender Hanjerklos, Kanne-Jones oder Krummeisen, sie alle haben ein hohes Berufsethos: auch »das Diebeshandwerk« will gelernt sein. So ein richtiger Räuber weiß sich auch zu benehmen, zumindest sollte er ein paar französische Worte beherrschen und sich wie ein Herr kleiden. Oft haben die Räuber bei ihren Überfällen Glück und machen Beute. Hannes träumt von Geld und Gold und von den schönen Weibern im Freudenhaus »mit ihren tausend Rüschen und nackten Schenkeln«. In Wirklichkeit trifft er aber auf eine dürre Soldatenwitwe in einer armseligen Hütte. Doch sie schafft es, Hannes für eine Zeit lang in den Siebten Himmel zu katapultieren. Bei solchen Episoden läuft Annegret Held zu Höchstform auf. Ihre derbe, deftige Sprache schert sich nicht um politisch korrekten Sprachgebrauch. Ihr Humor lädt zum Schenkelklopfen ein. Als Hannes wieder einmal glaubt, »ein blondes Weib mit gewünschten Rundungen« so richtig glücklich zu machen, bemerkt er sehr spät, »dass er sie immer mit dem Kopf an die Wand stieß« und sie deshalb so laut schrie. Er ist mächtig stolz, »dass er einen Hurenwagen zu Bruch rammeln« konnte.
Gertraud, die weibliche Heldin, ist ebenfalls derb, frech, obwohl noch sehr jung. Sie kann anpacken und auch Säcke schleppen. Der Müller im Nachbarort Schorrenberg nimmt sie gerne bei sich auf. Doch auf Dauer ist es ihr aber zu langweilig. Das 15-jährige Mädchen ist lebens- und vor allem liebeshungrig. Für sie gibt es nichts Schöneres auf der Welt »als ihre hungrige Schnute auf die Lippen eines strammen Burschen zu pressen«. Ein vorbeiziehender Gastwirt bietet ihr Arbeit als Bedienung in seiner Kneipe an. Das genau ist nach ihrem Geschmack. »Den ganzen Tag Bierkrüge stemmen und mit den Leuten lachen, das war doch herrlich.« Sie liebte es, die Männer zu küssen, »mit rauschendem Blut« und sie »loderte und glühte« dabei.
Der Roman folgt dem Rhythmus der Schicksalsschläge, die aber fast immer durch einen kräftigen Humor abgefedert werden.
Hannes Mutter, seit Jahren bettlägerig, dämmert und brabbelt vor sich hin. Der Vater erhofft sich von einer Wallfahrt Hilfe. Als er drei Wochen später wieder nach Hause kommt, ist das Wunder tatsächlich geschehen. Seine Frau kann wieder laufen, aber »leider war ihr Verstand mit der Wiederauferstehung nicht mitgekommen«. Auch die Mutter Gottes hat einmal einen »schlechten Tag«. Es geht also hoch her im Westerwald. Und am Ende, so will es die Ballade, kehren alle zurück in ihr Scholmerbach und als dann noch »im Tal die Lehmhäuser so friedlich beieinander stehen, … stolze Misthaufen vor jeder Tür, da war es Hannes, als sei das der schönste Ort der Welt«. Obwohl, bekanntlich, der Wind so kalt pfeift.

Sigrid Lüdke-Haertel (Foto: © Elisa Held)

Annegret Held: »Eine Räuberballade« Roman, Eichborn Verlag, Köln, 2020, 318 S., 22 €

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