Archäologisches Museum: »Qanga«, Grönlands Geschichte als Graphic Novel

Nanu, so hieß schon unser fiktiver Begleiter durch die Eiszeit im Museum Wiesbaden vor exakt einem Jahr (Strandgut 12/2018), jetzt folgen wir im Archäologischen Museum Frankfurt seinem Namensvetter in einer Graphic Novel durch Grönland, die größte Insel der Welt. Der neue Nanu ist, auch wenn sein Name für Eisbär steht, ein Robbenjäger und sein geistiger Vater der grönländische Grafikdesigner Konrad Nuka Godtfredsen. Im Auftrag des Dänischen Nationalmuseums in Kopenhagen schuf er zusammen mit der Autorin Lisbeth Valgreen das vierbändige Werk »Qanga«, was in etwa »in den alten Tagen« bedeutet, über die Geschichte seines Landes und dessen Bewohner. Zwölf Jahre (2006-2018) haben sie dafür gebraucht. Intention des Auftrags war vor allem, die Jugend Grönlands in der Entwicklung einer eigenen Identität zu stärken. Dazu muss man wissen, dass Bildergeschichten in vielen Ländern ein gesuchtes Genre der Vermittlung sind. Die im Refektorium des Karmeliterklosters platzierte Schau, in deren Mittelpunkt diese Graphic Novel steht, dürfte helfen, den Stellenwert des Genres zu heben.
Wie auf einer Dia-Schau fühlt man sich vor den Bildern. In leuchtend hellen, lebendigen Farben gelingt es Godtfredsen, Einblicke in die historischen Lebenswelten der Menschen in Grönland zu geben: von der ersten von Kanada her kommenden Besiedlung vor rund 4.500 Jahren, über die Entstehung einer Nomadenkultur bis hin zu der vor gut 1.000 Jahren einsetzenden Missionierung und Kolonisierung durch Europäer.
Godtfredsen folgt in seinen aufwendigen Arbeiten nicht nur der wissenschaftlichen Expertise der beratenden Archäologen und Grönlandforscher des Museums, sondern greift mit spektakulärem Ergebnis auch auf mündlich überlieferte Erzählungen, Sagen und Mythen der grönländischen Völker zurück, die bekanntlich keine eigene Schrift entwickelt haben. Jeder der vier Bände stellt eine Epoche mit einem eigenen Schwerpunkt und verbindet sich mit einer Story. Im ersten Band mit dem Titel »Tutineq Siulleq« (Die ersten Schritte) treibt ein Mord vor 4.500 Jahren die Geschichte voran, die eine Gruppe von Palao-Eskimos aus Kanada nach Grönland fliehen lässt. Unser Reiseleiter Nanu gehört zu den wenigen Überlebenden der verfolgten Gruppe.
Im zweiten Band »Ukaliatsiaq« (Hermelin) folgt der Zeichner einer jungen Frau, die sich einem Schamanen anschließt, und macht uns auf diese Weise mit den Geisterwelten der Tunit vertraut, eines im Landesinneren von der Rentierjagd lebenden Volks. Der dritte Band folgt einem Inuit-Jungen und der vierte rollt die Begegnung der Grönländer mit den christlichen Missionaren und Kolonialisten auf.
Für jedes Buch ist ein verglaster Block aufgestellt, der das Schaffen des Künstlers in den einzelnen Phasen seiner Bilderstellung verfolgt und spektakuläre Originaldrucke zeigt. In beigesellten Vitrinen sind originale Kleidungsstücke, Schmuck, Waffen und Handwerksgeräte der Inuit-Kultur zusehen, die das Museum Weltkulturen bereitstellt.
Zurück in die Neuzeit katapultiert uns die parallele Poster-Schau »Our Arctic Future«. Hier kommt all das zur Sprache, was uns im Kontext der aktuellen Diskussionen gemeinhin zu Grönland einfällt: schmelzendes Inlandeis, schwindende Gletscher und Eisbären, den die Lebensgrundlage unter den Pfoten wegschmilzt. Und noch einiges mehr. In Porträts und Interviews kommen an Stellwänden überwiegend junge Menschen mit teils verblüffenden individuellen Plänen für ihre Zukunft zu Wort. Spannend lehrreich, für alle Generationen.
Apropos lehrreich: Rund 60. 000 Einwohner leben in diesem Land, das zusammen mit den Faroer-Inseln weitgehend Autonomie innerhalb der Reichsgemeinchaft mit Dänemark genießt. Einsamer als in Grönland kann man nirgendwo sein: Auf einen Quadratkilometer kommen 0,02 Menschen.

Lorenz Gatt (Foto: © Konrad Nuka Godtfredsen)
Bis 19. April 2020: Di. – So., 10 – 18 Uhr, Mi., 10 – 20 Uhr
www.archaeologisches-museum-frankfurt.de

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