Darmstadt/Wiesbaden: Das Hessische Staatsballett zeigt den Dreiteiler »Spiegelungen«

Auf Spitze, auf Socken, in Turnschuhen

Einmal mehr ein dreiteiliger Ballett-abend des Hessischen Staatsballetts und ein überaus spannender dazu. Nimmt man seinen Titel »Spiegelungen« beim Wort, so drängen sich folgende Assoziationen auf: 1. das Geschehen auf der Bühne hält dem Zuschauer einen Spiegel vor, 2. die einzelnen Teile des dreiteiligen Abends spiegeln sich gegenseitig und 3. in den drei zum Teil sehr unterschiedlichen Stücken spiegelt sich die Vielfalt des Tanzes – so wie es auf der Bühne auch in Bezug auf die Fußbekleidung geschieht. »Infra«  von Wayne McGregor wird auf Spitze, »Tabula Rasa« vom künstlerischen Leiter des Ensembles, Tim Plegge, auf Socken getanzt, und bei »Left Right Left Right« von Alexander Ekman tragen die Tänzer Turnschuhe.
»Infra« entstand 2008 am Royal Ballet in London zur Musik des deutschen Komponisten Max Richter und wurde mit Unterstützung McGregors nun erstmals in Deutschland neu einstudiert. Inspiriert von den Beatles, Bach und Punk Rock verschmelzen klassische Orchestrierung und moderne Technologie, barocke Schönheit mit minimalistischen Elemente zu einer vielfältigen und immer wieder überraschenden Klanglandschaft, in der zwölf Tänzer Alltagsszenen und Begegnungen tanzen, während auf einem LED-Laufband über ihnen gepixelte Menschen vereinzelt und gleichförmig in verschiedene Richtungen laufen. Das weist nicht zuletzt auf die Vereinzelung des Menschen und seine Sehnsucht nach Kontakt. Zum Schluss von »Infra« entern Stadtbewohner aus Darmstadt und Wiesbaden die Bühne und gehen wie die  Pixel-Männchen vom LED-Band von links nach rechts, ohne auf eine zusammengebrochene und schreiende Frau in der Mitte zu achten. Ein starkes Bild über das Leben in der Großstadt.
Tim Plegges »Tabula Rasa« ist eine Uraufführung und bildet den Mittelteil des Abends. Den Choreografen interessierte wohl, ein Stück vollkommen losgelöst von Erwartungen und Vorgaben zu entwickeln. Ergebnis ist ein Ballett mit sechs Tänzern, die sich in wechselnden Konstellationen unter einer wuchtigen Metallskulptur bewegen (Bühne, Kostüme: Thomas Mika). Wie sie sich bewegen, das sieht man, aber was sie bewegt, wird nicht deutlich. Ein eher abstraktes, nicht sinnfälliges Tanzen zur Musik von Arvo Pärt.
Alexander Ekmans »Left Right Left Right« entstand 2012 für das Nederlands Dans Theater und begeisterte schon 2014 beim »Aufwind«-Abend, dem Debüt des aus den Tanzsparten der Staatstheater Darmstadt und Wiesbaden gebildeten Hessischen Staatsballetts. Ohne Zweifel der Höhepunkt des Abends, zeigt er doch die Arbeit eines Künstlers, der nicht umsonst den diesjährigen Theaterpreis Faust für die beste Choreografie erhielt – wenn auch für seine Arbeit »Cow« (7., 9., 13. April in der Dresdner Semperoper). »Left Right Left Right« ist ein witziges Stück und zeigt groteskes Marschieren durch den Alltag, überraschende Bewegungsformen und unterschiedlichste Möglichkeiten, auf und mit einem Laufband zu tanzen – vor Nachahmung sei ausdrücklich abgeraten! Ekman, der auch Bühne, Kostüme und Video verantwortet, bringt eine Gruppe von Individuen dazu, im Einklang miteinander zu tanzen, aufeinander zu hören und zu sehen. Die kleinste Unachtsamkeit würde die ganze Choreografie gefährden. Das ist Tanz, Gruppentanz, auf höchstem Niveau. Witzig sind die eingeblendeten Videos, die die Tänzer mit ihren skurrilen Bewegungsformen in den Zentren von Darmstadt und Wiesbaden zeigen und die Reaktionen der Passanten einfangen. Nicht zu vergessen: die Dame im roten Kleid, die wie in Trance das Bühnengeschehen umrundet und ab und an kommentiert. Ein weiteres Highlight in der derzeit blühenden Tanzregion Rhein-Main.

Walter H. Krämer (Foto: © Regina Brocke)
Termine Staatstheater Wiesbaden: 6., 11. Januar, jeweils 19.30 Uhr
Termine Staatstheater Darmstadt: 22., 27. Januar und 3. Februar, jeweils 19.30 Uhr
www.staatstheater-wiesbaden.de
www.staatstheater-darmstadt.de
www.hessisches-staatsballett.de

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