Das Fritz Rémond gibt zum Abschied das großartige »Dinge, die ich sicher weiß«

Ein prächtiges Stück und einen letzten Blick auf ein Stück Frankfurter Theatergeschichte bietet das zur Schließung stehende Fritz Rémond Theater (siehe Strandgut April) bis zum 21. Mai. Andrew Bovells bewegende Familiensaga »Dinge, die ich sicher weiß« gab es vor ein paar Jahren schon grandios auf der Bühne des Staatstheaters in Mainz und lässt auch als 176. und letzte Aufführung in der 74-jährigen Geschichte des Fritz Rémond, das sei vorausgeschickt, keine Wünsche offen. In Darmstadt kennt man Bovell von seinem Stück »Das Ende des Regens«, Filmfans wissen ihn als Drehbuchautor von »Strictly Ballroom« zu schätzen.
In »Dinge, die ich wirklich weiß«, verfolgt Bovell über die Spanne eines Jahres das Schicksal der Familie Price in einem Vorort von Adelaide. Unzerbrechlich scheint der Zusammenhalt und dann wieder zum Bersten gespannt. Nichts, was allen, die halbwegs intakt aufgewachsen sind, nicht bekannt, nicht vertraut vorkäme. Liebevoll sorgende, penetrant nervende Eltern, die Familie als gesuchter Hort und als zu fliehende einengende Tyrannei..
Ein nächtlicher aus dem Schlaf reißender Anruf eröffnet das Spiel, aus dem Dunkel tauchen wie Geister die einzelnen Figuren jeweils kurz ins Licht, um die Fragen zu stellen, die solch ein beunruhigendes Läuten auslöst. Fragen, die man sich leicht ausmalen kann. Auf der vom Regisseur und Übersetzer Anatol Preissler hergerichteten Bühne, in deren Hintergrund sich ein pittoresker knorriger Eukalyptusbaum, der auch ein Lebensbaum sein könnte, erhebt, zieht uns Katarina Schmidts Rosie sofort in den Bann: Als offenherziger australischer Teenie, der sich auf seinem Europatrip erst himmlisch verliebt, um dann grausig ausgeraubt vom Lover und ernüchtert in den Schoß der Familie zu finden, den ihre drei älteren Geschwister längst verlassen haben. »Was ist passiert?« reagiert jeder und jede auf ihre verfrühte Rückkehr. So warmherzig, so rührend schön hebt es an und bereitet dabei subtil schon die vielen kleinen und großen Katastrophen vor. Rosies Schwester (Jantje Billker) wird ihren Mann und zwei Kinder für einen neuen Job und Liebhaber in Vancouver verlassen, Tilmar Kuhns anrührend verkörperter Mark sich in eine Frau umwandeln und Mathias Renneisens Ben im Banker-Milieu finanziell und sozial Schiffbruch erleiden. Immer sind die Eltern (Gerhard Mohr, als frühverrenteter Rosenzüchter und die alles überragende Maria Hartmann, hart, kantig, giftig, aber auch Muttertier) involviert, und keineswegs immer glücklich für die Betreffenden. Aber sie selbst haben ihre Geschichte, ihre Probleme, ihre Krisen, bis nach zwei prallen Stunden (es gibt eine Pause) das Telefon klingelt. Ach ja, der Anruf, von dem wir noch immer nicht wissen, wem er gilt.
Stehenden Beifall gab es für das tolle Ensemble von einem Publikum, das künftig in Frankfurt keine Gelegenheit mehr haben wird, Theaterstücke wie eben dieses zu sehen, weil die Stadt das Fritz Rémond dem geplanten Kinder- und Jugendtheater im Zoogesellschaftshaus opfert und an einer Weiterführung unter neuer Leitung augenscheinlich kein Interesse hat. Die Bühne im seitlichen Trakt soll Proberaum werden, so die Pläne. Vertreter des Kulturamtes gaben sich jedenfalls nicht zu erkennen, auch keine Vertreterin.

Winnie Geipert / Foto: © Helmut Seuffert
Bis 21. Mai: Di.–Sa., 20 Uhr; So., 18 Uhr
www.fritzremond.de

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