Das Staatstheater Mainz zeigt im U17 »Nassim« von Nassim Soleimanpour

Kein Regisseur, kein Bühnenbild, keine Proben. Nur ein 456 Seiten langes Skript, das je Aufführung von einem anderen Schauspieler, der das Stück nicht kennt, vorgetragen wird. So präsentiert sich »Nassim«, das neue Werk des iranischen Dramatikers Nassim Soleimanpour, das mit dem renommierten Theaterpreis »Fringe First Award 2017« ausgezeichnet wurde. Der Schauspieler (bei der Premiere am 1. September war es Daniel Mutlu) hält eine Art prima-vista-Lesung und muss spontan auf die vorgegebenen Anweisungen reagieren. »Cold reading« nennt man im Fachjargon diese Technik. Der Text wird in diesem Fall aber auf eine Wand projiziert, so dass der Zuschauer mitlesen und genau mitverfolgen kann, ob sich der Schauspieler an das Skript hält (Deutsch von Nico Laubisch). Was erst ein paar Minuten später deutlich wird: Der Autor hat seine Hände mit im Spiel. Er sitzt hinter der Bühne und eine Dokumentenkamera filmt von oben, wie er die Seiten des Skripts umblättert. Mit diesem experimentellen Konzept ist Soleimanpour berühmt geworden: Auch bei »White Rabbit, Red Rabbit«, seinem ersten Stück – 2010 uraufgeführt und mittlerweile in 32 Sprachen übersetzt – muss sich der Schauspieler ins Unbekannte stürzen.
Jede Aufführung wird damit zu einer Art Uraufführung, die allein durch die Sprache getragen wird. Keine Requisiten, keine Kostüme, keine Nebendarsteller tragen zur Verständigung bei. Selbst als Soleimanpour Anfang des zweiten Aktes auf die Bühne kommt, überlässt er Mutlu weiterhin das Vortragen seines Stückes. Ihm geht es um die Bedeutung und die verschiedenen Rollen von Sprache: Sie ist Bindeglied zwischen Autor, Schauspieler und Zuschauer, zwischen iranischer und deutscher, orientalischer und abendländischer Kultur; einerseits identitätsstiftend, andererseits entfremdend, da sie die kulturellen Unterschiede schonungslos offenbart.
Soleimanpour veröffentlicht nicht im Iran, da dort jeder Text zur Veröffentlichung vorgelegt werden muss und einer strengen Zensur unterliegt. Er schreibt seine Stücke auf Englisch und hört sie doch immer – je nach Aufführungsland – in einer anderen Sprache. Daher legt er Wert darauf, dass der Performer und auch die Zuschauer ein paar Worte Farsi lernen, und gibt dabei Einblicke in seine alte Heimat. So lernt man den Anfang eines persischen Märchens kennen, das ihm seine Mutter früher immer vorgelesen hat. Ohne ins Kitschige zu gleiten, legt »Nassim« die innere Zerrissenheit des Autors offen, der seit 2015 in Berlin (im selbst auferlegten Exil) lebt und nur mit seiner Frau auf seiner Muttersprache kommunizieren kann. Was es mit den Tomaten auf sich hat, sei nicht verraten. Nur so viel: Das Stück lebt vom Überraschungsmoment.

Verena Rumpf (Foto: © David Monteith Hodge)
Termin: 26. November, 20 Uhr
www.staatstheater-mainz.de

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