Das Theaterhaus präsentiert »Woyzeck. On Air«

Ein Muss für Erwachsene

Die Geschichte des armen Soldaten Woyzeck, der, von seinem Hauptmann verspottet und vom Doktor als Versuchskaninchen missbraucht, im Eifersuchtswahn die Mutter seines Kindes umbringt, hat Georg Büchner nach einem historischen Fall in mehreren Einzelszenen für ein Bühnenstück festgehalten. Obwohl sie ein Fragment geblieben sind, ist sein »Woyzeck« ein Dauerbrenner nicht nur in Theatern und Opernhäusern (Alban Berg), sondern auch im Kino (Werner Herzog) und im Lehrplan der Schulen als Stoff für Abiturprüfungen.
Das Theaterhaus hat ein besonderes Präsentationsformat gewählt. »On Air«, ein Hör-Spiel im wahrsten Sinn des Wortes: Mikrofone, Synthesizer und Lautsprecher sind in einer Reihe an Tischen aufgebaut, die Schauspieler und Musiker sitzen davor oder betreten von der Seite die Szene. Es dröhnt und hämmert, rauscht und klopft – in Woyzecks Kopf, und in unserem. Sein Wahnsinn hat einen Sound, der verschwindet, wenn Klarheit seine Gedanken durchdringt, etwa in den absurden Gesprächen mit Hauptmann und Doktor, die ihn quälen und erniedrigen wollen. Deren Tiraden vermengen sich in einer langen verwirrenden Toncollage, die auf Woyzeck niederprasselt.
Auch Marie hat ihren Ton, Jahrmarktsmusik und, ganz unplugged, Akkordeon, das untergeht im wahnwitzigem Rhythmus des »Stich, stich – die Zickwölfin – immerzu«, dem Mord an der Geliebten, ihrem Schrei. Mit diesem Todesschrei Maries hat das Spiel nach Georg Büchner auch begonnen, in Szene gesetzt durch Rob Vriens und in Töne verwandelt von den Soundexperten Marcel Daemgen und Oliver Augst. Das unglaublich wandlungsfähige Ensemble des Theaterhauses  (Michael Meyer, Uta Nawrath und Susanne Schyns) übernimmt mühelos alle Rollen, nur Woyzeck (Günther Henne) bleibt, wer er ist, auch wenn nach und nach der Wahnsinn von ihm Besitz ergreift.
21 Szenen aus Büchners Fragment werden uns in allen Facetten und wortgetreu präsentiert, jedes mit einem eigenen überzeugenden Tongewebe, realistisch, verstörend, dumpf und drohend, ungewohnt und einschneidend. Kein bisschen larmoyant oder rührend, auch nicht geknickt wird das Anti-Märchen der Großmutter vorgetragen, immer aggressiver wird der Ton am Ende, und wir verstehen: So ist es, und: Es ist nicht gut so.
Nach Schillers »Die Räuber« ist »Woyzeck« die zweite On Air-Performance des Theaterhaus  Ensembles mit den Künstlern Augst und Daemgen und noch genialer und eindrücklicher als die erste. Selten kommt »Woyzeck« den Intentionen des Revolutionärs Büchner so nah, macht ihn auf eindringliche Weise so hörbar. Ein Jammer sind die ausschließlich morgendlichen, auf den Schulbedarf fokussierten Spieltermine (alle 11 Uhr). Mit Künstlern wie Augst und Daemgen ›on stage‹, sowie der Hausbesetzung, sollte Vriens großartiges ›on air‹ mühelos auch ein erwachsenes Publikum begeistern. 

Katrin Swoboda (Foto: © Katrin Schander)
Termine: Di., 14., 16., 17. Juni, 11 Uhr
www.theaterhaus-frankfurt.de

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