Ein Interview mit Franck Bouysse zu seinem Roman »Rauer Himmel«

Er war Biologielehrer und begann 2004 zu schreiben. Die Romane »Grossir le ciel« (2014), »Plateau« (2016) und »Glaise« (2017) wurden zu großen Erfolgen, brachten mehrere Literaturpreise ein und etablierten Franck Bouysse in der französischen Literaturszene. Heute lebt er abwechselnd in Limoges und im Département Corrèze. Mit »Rauer Himmel« (Grossir le ciel) erscheint er nun das erste Mal auf Deutsch. Möglich macht das der Stuttgarter Polar Verlag, der monatlich mit einem exquisiten Kriminalroman-Programm aufwartet.

»Rauer Himmel« ist eine Hommage an das sterbende Bauerntum, an eine untergehende Lebensform. Bis weit ins 20. Jahrhundert lebte noch ein Drittel aller Franzosen von der Landarbeit. Heute sind es gerade noch zwei Prozent. Einer von ihnen ist Gus, seit über 50 Wintern auf seinem Hof und die Hauptfigur dieses Romans. Gus spricht lieber mit Tieren als mit Menschen. Sein Großvater wurde von einem Stier getötet. So etwas kommt vor, ein Augenblick Unaufmerksamkeit genügt. Der Vater war ein Trinker. Die Mutter kam ins Gefängnis, weil sie sich aus dem Gewaltverhältnis mit ihrem Mann gewaltsam befreite – dies eine sehr eindringliche Szene im Roman. Gus hat als Junge Dinge gesehen, die einen verstummen lassen. 17 Kühe, acht Kälber, das sind die Mitbewohner seiner Welt. Sein Nachbar ist Abel, jenseits der 70. Irgendetwas ist dort auf seinem Gehöft passiert. Gus ist kein Ermittler, »Rauer Himmel« hat keinen Polizisten oder Detektiv. Trotzdem ist da Spannung. Und als Leserin oder Leser stellt man den Blick immer schärfer. Der Suspense liegt im Ungesagten, im Ungefähren, in der Stimmung.
Es war für Bouysse ein schriftstellerischer Prozess, eine Sprache dafür zu finden, die Wortkargheit, die sparsamen Gesten und das Schweigen seiner Protagonisten in sein Buch zu übersetzen. Er kann es. Und er kann Zäune reparieren, Bachforellen fangen und braten, mit einer Bindemaschine umgehen, bei einer Kalbsgeburt helfen. In »Rauer Himmel« schreibt Bouysse sich an die Essenz des Daseins heran. Alf Mayer hat per E-Mail ein Interview mit ihm geführt.

Alf Mayer: »Rauer Himmel« war eines Ihrer ersten Bücher und erhielt gleich Literaturpreise. Wie wichtig war dieser Roman für Sie selbst?
Franck Bouysse: Dieses Buch markiert eine echte Wende in meinem literarischen Werdegang. Zum ersten Mal erreiche ich durch meine Herkunft, genauer gesagt, dadurch, dass sich meine Art zu schreiben vom Boden meiner Kindheit nährt, ein nationales und dann auch ein internationales Publikum. Wie ein Wünschelrutengänger, der Wasser findet und nun weiß, wo er graben muss.
Geht Ihnen das Schreiben leicht von der Hand? Was ist das für ein Prozess?
Wenn ich schreibe, bewohnen mich die Figuren Tag und Nacht, sie ergreifen Besitz von mir. Ich habe keine andere Wahl, als ihnen bis zum Ziel zu folgen, bis zum Ende dessen, was sie zu erzählen haben. Ich reiche ihnen die Hand, das ist ganz einfach und auch sehr nervenaufreibend, dabei sind Körper und Geist beteiligt. Es ist weder leicht noch schwer, ich schreibe in einem Zustand der »Abwesenheit«.

Sie stellen Ihrem Roman ein Zitat von James Agee voran. Warum dieser Autor?
Das basiert auf der Idee, eine verschwindende Bevölkerung zu würdigen. Eine Hommage an das sterbende Bauerntum, ohne jegliche Einschränkung. Deshalb berühren mich die entsprechenden Arbeiten eines James Agee, eines Walker Evans, eines Curtis so sehr. Es ist dringend geboten, Zeugnis darüber abzulegen, bevor niemand mehr in der Lage ist, dies zu tun. Im Namen derer zu sprechen, die das nicht können.

Gibt es auch in Frankreich so etwas wie »nature writing«? Und können Sie uns zwei, drei Bücher empfehlen?
Es gibt hervorragende Autoren, die das Thema Land aufgegriffen haben, obwohl viele Leser dies weit weniger exotisch finden als das amerikanische »nature writing«. Es ist immer die Schreibweise, die den Unterschied macht. Jean Giono, Pierre Michon, Marie-Hélène Lafon, um nur einige zu nennen.

Das Zitat von James Agee am Anfang Ihres Buches betont die Ewigkeit der Natur und die Kleinheit des Menschen? Oder verstehe ich das falsch?
Genauer gesagt: Ich wollte zeigen, dass sich alles in dieser Welt auf demselben Niveau befindet: das Tier, die Pflanze, der Stein und der Mensch. Die Festlegung des Wertes liegt nie im Gefühl, welchem auch immer, sondern in der Arbeit.

Sie selbst führen Ihre Figur Gus schon gleich im ersten Absatz damit ein: »Es war sein Platz in der gewaltigen Ordnung des Universums, weil er sich keinen anderen vorstellen konnte.« Die Menschen sind in ihr Schicksal Geworfene?
Meine Bücher sind tatsächlich sehr erfüllt von der griechischen Tragödie, der Bedeutung von Tradition und dem vertikalen Ablauf von Zeit, der dazu führt, dass die älteren Generationen die jüngeren ersticken.

Was ist das für ein Echo in solch einem Satz? Beckett? Der französische Existentialismus?
Nichts von alledem, eher ein Determinismus, der in diesen isolierten Milieus vorherrscht. Man lebt dort nicht aus freien Stücken, sondern weil man nichts anderes kennt, und es ist nicht gut, etwas anderes kennenzulernen, denn dann würde man als Verräter gelten. Für einige ein Segen, für andere ein Fluch.

George Simenons kleine Leute, seine »romans durs«, die Menschlichkeit Maigrets, hat Sie das einmal begleitet?
Simenon gehört zu diesen wenigen Autoren, die von den ersten Buchstaben an eine einzigartige Atmosphäre schaffen. Der Leser ist gefesselt. Simenon interessiert die menschliche Natur, er hat nie damit aufgehört, sie in seinem Werk ausführlich zu erforschen. Ich habe vor Kurzem ein Vorwort für die Neuauflage einer Gesamtauflage geschrieben.

Wonach suchen Ihre Figuren?
Die meisten meiner Figuren suchen nichts, sie nehmen hin, was ist.

Woher kommt Ihre Affinität zum Kriminalroman?
Ich glaube, das ist ein Missverständnis, das teilweise darauf beruht, dass ich einige Krimipreise für ein Buch bekommen habe, das gar kein Kriminalroman ist. Übrigens kenne ich das Krimigenre gar nicht so gut. Meine ersten Lieblingsautoren waren Schriftsteller wie Eugène Sue, Alexandre Dumas, Victor Hugo, Dickens … Ich wollte von einer Seite zur nächsten kommen, weil die Autoren so viel Spannung erzeugten. Ich denke, das ist bei mir als Romanautor hängengeblieben. Ich liebe es, mich zu überraschen, wenn ich schreibe. In meinem Buch gibt es keinen einzigen Polizisten, auch keine Handlung im klassischen Sinn, dagegen aber eine permanente Spannung.

Wie fühlen Sie sich, wenn »Rauer Himmel« als »rural noir« bezeichnet wird? Gäbe es eine bessere Bezeichnung?
Bei Klassifikationen fühle ich mich immer etwas unbehaglich, sie reduzieren ein Buch häufig auf ein Genre, stecken es in eine Schublade. »Rauer Himmel« ist ein Roman Noir, ein Liebesroman, ein poetischer Roman, manchmal witzig, kurz gesagt, es ist ein Roman, der verschiedenen Genres zugerechnet werden kann, ein Roman, der verschiedene Arten von Emotionen bedient.

Sie haben eine gewisse Affinität zu Amerika und zur amerikanischen Kultur, zu Western und zu Indianern. Auch Gus schaut sich einen Film mit Richard Widmark an. Wie verhält es sich damit?
Ich bin in meiner Kindheit ständig Western begegnet, es gab jeden Dienstagabend einen im Fernsehen. Ich denke schon, dass sie mich stark geprägt und später dazu gebracht haben, mich für Indianer, ihre Kultur und ihre Ausrottung zu interessieren. Ich war sehr schnell auf der Seite der Indianer.

Und dann spielt ja Landschaft bei Ihnen eine zentrale Rolle. Warum das? Und warum die Cevennen?
Ja, die Cevennen, sie sind eine Hommage an Raymond Depardon, einen großartigen französischen Fotografen und Dokumentarfilmer. Während ich einen seiner Dokumentarfilme sah, tauchte das erste Bild in mir auf und brachte mich dazu, den Roman zu schreiben. Aber er könnte genauso gut im Corrèze spielen, wo ich geboren bin, in Montana oder in Apulien. Figuren auf dem Land funktionieren fast alle nach den gleichen Codes.

Wenn man über das Land schreibt, muss man es kennen. Haben Sie eine entsprechende Herkunft, sind Sie oft draußen?
Ich komme aus einem winzigen Dorf im Zentrum Frankreichs. Ich bin ein Landmensch. Ich habe mein Leben damit verbracht, das Land zu beobachten und es zu fühlen. Ich kenne die Namen von Tieren und Pflanzen, die es ausmachen. Ich habe das Land für einige Jahre verlassen und bin dann zurückgekommen, denn auf dem Land fühle ich mich gut, ganz bei mir. Meine Großeltern waren Bauern. Ich war immer eingetaucht in dieses Milieu. Sie waren nicht nur Personen, sie waren Persönlichkeiten. Ich machte mir ihre Lebensweise zu eigen, jede ihrer kleinen Gesten, ihre sparsamen Worte, ihr Schweigen, mit dem sie sprachen. Es hat ein Weilchen gedauert, bis ich ihre Sprache über meine Bücher entschlüsselt hatte.

Wie lassen Sie sich inspirieren? Betrachten Sie Fotos? Wie entstehen Ihre Figuren?
Gibt es für den Hund Mars ein lebendes Vorbild?
Alle meine Bücher gehen auf ein mentales Bild zurück, auf ein intensives Gefühl, das mich durchdringt, immer ausgehend von der Kindheit. Ernesto Sabato sagt dem Sinn nach: Das Wesen des Werkes eines Künstlers liegt in der Besessenheit von seiner Kindheit. Diese Gefühlsobsession beginnt, sich durch einen ersten Satz abzuspulen, weil ich ja noch nichts von der Geschichte weiß, die ich schreiben werde. Mars war ein Hund, den ich als Kind hatte.

Und für die anderen Figuren?
Die Figuren kommen, sie vertrauen mir. Ich habe mir versprochen, sie niemals zu verraten, auch nicht die übelsten. Ob sie mich ins Licht oder in die tiefste Finsternis führen, es gibt immer einen Grund, der später aufgedeckt wird. Wenn der Autor beginnt, sich während des Schreibens Fragen zu stellen, ist alles verdorben und klingt letztendlich sehr schnell falsch und hohl.

Sehe ich das richtig, dass die meisten Ihrer Romane auf dem Land und unter einfachen Menschen spielen? Was hat das für einen Grund?
Historische Bücher und viele Romane sind voll von Berühmtheiten. Ich dagegen spreche von Menschen und ihren winzigen Leben, von diesen Poeten des Alltags, die nicht wissen, wie edel und würdig sie sind. Ich möchte, dass man sie nicht vergisst, ich würde sie am liebsten zu mythologischen Wesen machen, ohne ihre Schwächen auszusparen.

Alf Mayer

Franck Bouysse: »Rauer Himmel«.
Polar Verlag, Stuttgart 2021. Aus dem Französischen von Christiane Kayser. 220 S., 22 €.

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