Frida und der köstliche Leichnam: Die Fantastischen Frauen in der Kunsthalle Schirn

Die erste Revolution des 20. Jahrhunderts fand nicht in Russland statt sondern in Mexiko – und in fröhlicher Anarchie fälschte die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo ihr Geburtsdatum und legte es in dieses Jahr – 1910. Das ist symptomatisch für die selbstbewusste Stilisierung, mit der die »Fantastischen Frauen« des Surrealismus zu Werke gingen. Was für eine Ermunterung!
Auf die großen gesellschaftlichen Umstürze folgten stets Umstürze in der Kunst. Welchen Anteil Frauen daran hatten und haben, macht die Schirn schon seit Jahren klar. Immer wieder vergräbt sie sich in die Archive der weiblichen Kunstgeschichte und komponiert daraus die tollsten Ausstellungen: unlängst Lee Krasner und Hanna Ryggen, davor die Impressionistinnen, die Sturmfrauen, Yoko Ono oder Helene Schjerfbeck. Nun also: die Surrealistinnen.
Eine Überblicksschau ist daraus geworden, mit 260 Werken von 34 Künstlerinnen aus elf Ländern, und wie die Kuratorin Ingrid Pfeiffer erwähnt, hätten es noch viel mehr werden können. Mit ihrem unaufdringlichen Elan und ihrem so drängenden Forschergeist hätte sie vermutlich sämtliche Museen in Frankfurt mit surrealistischen Werken von Frauen ausstatten können, und man darf sie dafür lieben, diese Schätze gehoben zu haben. Denn was sich jetzt an den lila und burgunderrot gehaltenen Wänden der Kunsthalle austobt, ist ein wahrhaft spektakuläres Fest. Und mit den vielfältigen Bezügen und seiner Internationalität wurde das so noch nie gesehen.
Woran natürlich Frida Kahlo ihren nicht unerheblichen Anteil hat. Denn was die Ausstellung in der Schirn zeigt, ist, dass sich ein Zentrum der malenden, dichtenden und sich vernetzenden Surrealistinnen in Frida Kahlos Blauen Haus befand, das andere in Paris, und die Brücke zwischen diesen beiden Zentren schlug der Surrealistenpapst André Breton, der als erster Europäer das schöpferische Potenzial von Kahlos Kunst erkannte und als wahrhaft surrealistisch pries. Was sich nun auf der anderen Seite des Ozeans so tat, war den mexikanischen Künstlern damals grad mal egal, sie entdeckten gerade den muralismo – sozusagen die Malerei für alle an öffentlichen Wänden, dessen Vorreiter der Ehemann von Frida Kahlo war, Diego Rivera.
Frida Kahlos Werke indes vereinigten in sich tausenderlei Merkmale des Surrealismus: Traum, Symbolismus, Psychoanalyse, Körper, Sexualität, aber auch Tod, Spiel, Tiermetaphern, Natur, Indigenismus, die Auseinandersetzung mit den verborgenen Schichten des Ichs. Leonora Carrington, die sich unter anderem auf Hieronymus Bosch bezieht, die Fotografin und Galeristin Lola Álvarez Bravo, die auf ihren Schwarzweißfotos die Wolkenkratzer Mexikos umkippen lässt, Remedios Varo, die dem Alchimismus frönt, und Alice Rahon sind ihre Komplizinnen – und sie sind hier alle vertreten.
Der männliche Surrealismus feierte die Frau als Puppe und Fetisch, stellte sie auf einen Sockel, um sie anschließend zu zerschneiden – so Ingrid Pfeiffer. Hier fragmentieren sich die Künstlerinnen selbst – durchaus als zugerichtete Körper und leere tanzende Krinolinen wie bei der Autodidaktin Rachel Baes, die auch eine wie aus einem Traum geborene blaue »Jungfrau mit Kind« gemalt hat; der Engel der Verkündigung macht sich bei ihr grad aus dem Staub, bzw. aus dem Bild. Sie verschmilzt darin Hyperrealismus mit Stilmerkmalen der Renaissance. Auch Remedios Varo zitiert in ihren Bildern die Kunst der alten Meister.
Die Frauen erforschen neue Sinnzusammenhänge wie in der écriture automatique und in den cadavre exquis der Nusch Éluard, der zweiten Ehefrau Paul Éluards, im Paris Ende der 1920er Jahre, dem Gründungsort und -datum des Surrealismus.
Sie zeigen den jungen Mann als naturhafte Beute, der sich einer schattenhaften Sphinx unterwirft wie bei der Argentinierin Leonor Fini. Meret Oppenheim steuert unter anderem das »Auge der Mona Lisa« bei, »Daphne und Apoll« (1943) in dem beide Protagonisten zu Bäumen werden, und Masken für den Basler Karneval, den sie oft besuchte. Louise Bourgeois als Brückenbauerin in die zeitgenössische Kunst, die als Einzige einen Raum für sich alleine hat und dazu auch noch in Perlgrau, zeigt ihre lustigen Skulpturen von Geschlechtsteilen. Der Pragerin Toyen aber ist die Ehre zuteil geworden, die Schau zu eröffnen mit ihren hypnotischen Traumsymbolfantasien. Sie gründete 1934 in Prag eine eigene Surrealistengruppe.
Es ist ein Fundus, unmöglich in eine Linie zu bringen – was soll das ordnende Prinzip sein? Nur so viel: Nie haben die tunnelhaften Gänge der Schirn mehr Sinn gemacht als hier, weite Säle hätten tatsächlich nicht gepasst.
Aus den biografischen Notizen, die jeder Künstlerin vorangestellt sind, geht ihre kraftvolle Präsenz im Künstlerleben hervor, ihre Verbindungen mit den Milieus des Surrealismus und ihre unnachahmliche Unterstützung durch die Mäzenin, Sammlerin und Galeristin Peggy Guggenheim. Die meisten der hier vertretenen Künstlerinnen haben gut arbeiten können, betont Ingrid Pfeiffer, waren angesehen und wurden respektiert. Erst die Rückkehr zu den konservativen Prinzipien in der Nachkriegszeit hat all diese Frauen in die Archive der Kunstgeschichte zurückgedrängt, ihnen keinen Platz mehr in Galerien und Museen zugestanden.
Des nicht zu unterschätzenden Verdienstes, Frauen als Künstlerinnen zu zeigen und nicht als Opfer patriarchaler Verletzungen, nicht als Scherenschnitt männlicher Einschränkungen, darf sich diese Ausstellung ganz heftig rühmen. Es ist eine wahrhaft feministische Sicht, die aus dieser Schau spricht, viel Spaß, viel Überraschung, und vielleicht das Beste: viel Irritation.

Susanne Asal
Foto: Leonor Fini: Erdgottheit, die den Schlaf eines Jünglings bewacht, 1946
© Weinstein Gallery, San Francisco and Francis Naumann Gallery, New York / VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Bis 24.Mai: Di.–So. 10–19 Uhr; Mi., Do. bis 22 Uhr
www.schirn.de

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