»Hive« von Blerta Basholli

Als Robert Bresson während der Dreharbeiten zu »Mouchette« von einem Team deutscher Filmkritiker gefilmt wurde, äußerte er die Vermutung, dass es auch so etwas wie eine Solidarität des Bösen gebe. Daran musste ich denken, als ich Blerta Basholis Film über eine wahre Begebenheit aus dem Kosovo sah.

Fahrije ist ein Opfer des Balkankrieges. Ihr Mann ist seit Kriegsende vermisst, und alles spricht dafür, dass er nicht mehr lebt.
Nachdem ihr Haus abgebrannt ist – was im Film einmal erwähnt wird –, hat sie mit ihrem kleinen Sohn, der pubertierenden Tochter und ihrem Schwiegervater eine sichere Bleibe gefunden.
Zu Beginn sehen wir sie, in einen Lastwagen steigen und zwischen weißen Leichensäcken vergeblich nach den sterblichen Überresten ihres Mannes suchen. Die Kamera von Alex Bloom zeigt sie in Großaufnahme – und sie wird den ganzen Film in ihrer Nähe bleiben.
»Hive«, auf Deutsch Bienenstock, ist der internationale Titel, und die Imkerei ihres Mannes gehört zu dem Wenigen, das ihr von ihm geblieben ist. »Er war glücklich, wenn er Bienenhäuser baute«, erinnert sie sich voller Sehnsucht. Und wie der Bienen muss sie sich bald der feindseligen Männer erwehren.
Denn Fahrije weigert sich, die Rolle der still trauernden Witwe anzunehmen. Und das macht sie zu einem Ärgernis im Dorf, in dem die Männer den Ton angeben. Nach deren Meinung hat sie sich um ihre Familie zu kümmern und das Haus in Ordnung zu halten. Den Honigverkauf überlässt sie also Schwiegervater Haxhi, der von ihr im Rollstuhl zum örtlichen Markt gefahren wird.
Vom Honigverkauf kann die Familie aber nicht leben, und die Unterstützung vom Frauenbund ist knapp bemessen. Es muss also eine neue Erwerbsquelle her, und dazu ist es nötig, dass Fahrije ein Auto fahren kann. Sie macht tatsächlich den Führerschein – wir sehen sie als einzige Frau unter Männern in der theoretischen Prüfung – und beschafft sich einen alten Kombi, mit dem sie in die Stadt fahren kann.
Am heimischen Herd mit großem Kochtopf startet sie die Produktion von Ajvar, der traditionellen Paprikapaste. Mit der füllt sie ihre für den Honig angeschafften Gläser, um sie dem entfernten Supermarkt als hausgemachte Spezialität zum Verkauf anzubieten.
Im Frauenbund wird berichtet, dass das Dorf in Aufruhr ist. Die alten Männer vor dem Café mustern sie mit kritischen Blicken – neben »Hiver« steht das albanische »Zgjoi = erregt« auf dem Filmtitel nach den ersten Szenen.
Eine Seitenscheibe ihres Autos wird eingeworfen und das Lager mit den Ajvar-Gläsern verwüstet. Selbst Fahrijes Tochter beschimpft sie, weil auch sie glaubt, die Mutter bringe Schande über die Familie.
Der sich hilfsbereit gebende Paprika-Lieferant versucht sogar erfolglos, Fahrije zu vergewaltigen, nachdem sie seine Einladung zu einem Kaffee zum wiederholtem Mal abgelehnt hat.
In Bressons Bernanosverfilmung geht die kleine Mouchette, die ungefähr im selben Alter wie Fahrijes Tochter ist, an der Bosheit ihrer Umwelt buchstäblich unter. In »Hive Zgjoi« sieht man die beeindruckende Schauspielerin Yllka Gashi mit ebenso verschlossenem wie entschlossenem Gesicht in der Dulder-Rolle der Fahrije. Die weiß aber, sich mit der Kraft und der Erfahrung einer erwachsenen Frau zu wehren und gegen die Bosheit anzukämpfen.
Zuletzt ist Frieden in ihr Haus eingekehrt. Der Großvater willigt in eine Blutprobe ein, um schneller Klarheit über das Schicksal seines Sohnes zu bekommen. Die Ajvar-Produktion läuft unter tätiger Mithilfe mehrere Frauen, und Fahrijes Gesichtszüge beginnen, sich zu entspannen.
Die Kosovarin Blerta Basholli, die in New York studiert hat und für diesen Film in Sundance und beim Hamburger Filmfest ausgezeichnet wurde, beginnt mit einer Passionsgeschichte, Bressons großer Spezialität, und entwickelt daneben eine Emanzipationsgeschichte, die über die reine Geschlechterauseinandersetzung hinausgeht. Sie erzählt von Zivilcourage und plädiert für Mut zur eigenen Initiative. Weil sie immer auch eine gewisse Distanz wahrt, wirkt ihr Film umso eindringlicher.

Claus Wecker / Foto: © JIP Film

 

HIVE (Zgjoi)
von Blerta Basholli, Albanien/Nordmazedonien/Kosovo/CH 2021, 84 Min.
mit Yllka Gashi, Çun Lajçi, Aurita Agushi, Kumrije Hoxha, Adriana Matoshi
Drama
Start: 08.09.2022

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