Die traditionelle Position der Frau in der japanischen Gesellschaftsordnung ist ganz klar: im Schatten des Mannes, irgendeines Mannes. Des Chefs, des Vaters, des Ehemanns, des Berufskollegen. Das gilt auch für die Kunstform Fotografie, in der auf internationalen Plattformen japanische Fotografen Ruhm, Berühmtheit oder zumindest Aufmerksamkeit erlangten, eine Aufmerksamkeit, die man Fotografinnen nicht schenkte. Dies muss nicht unbedingt zum Nachteil gereichen, argumentiert die Co-Kuratorin Takeuchi Mariko, so konnten und können sie sich abseits der Normen wilder, ungestümer, freier und experimenteller bewegen als ihre männlichen Kollegen. Ein gewitztes Argument.
Die in vier Themenbereiche eingeteilte Überblicksschau über die Kunst japanischer Fotografinnen seit den 1950er Jahren, die jetzt im Fotografie Forum Frankfurt präsentiert wird, leistet tatsächliche Pionierarbeit, denn in Japan war diese Ausstellung noch nicht zu sehen, dafür aber in Arles und Den Haag. Anschließend wird sie nach New York ziehen und später dann auch in Tokio gezeigt. Das mediale Aufsehen, welches sie in Arles erzeugte, hat auch in Japan die Neugier entfacht. Man wird dort sogar eine zweite Schau produzieren.
»The Pioneers«, »The Elevation of the Everyday«, »Critical Perspectives on Self, Gender, and Society« und »Extensions of and Experiments with the Medium« – unter diesen Aspekten sind die Arbeiten lose geordnet. Bei der schieren Fülle der ausgestellten Fotografinnen – es sind 26 – Linien zu ziehen, wird ganz absichtsvoll unterlaufen, steht hier doch das pure Spektrum auf dem Programm und die Individualität. Und dabei ist die älteste der Teilnehmerinnen, die 1930 geborene und 2019 verstorbene Tokiwa Toyoko, wahrlich eine Erkunderin ganz besonderer Pfade: sie würdigte den »Gefährlichen Giftblumen«, den Animierdamen und Prostituierten und ihrer schattenhaften Welt, eine sehr atmosphärische Bilderfolge in nebligem Schwarz-Weiß-Grau. (Übrigens vorherrschend, bunte Farben sieht man selten). Sie porträtierte auch Wrestlerinnen, Aktmodelle und Krankenschwestern und schuf damit einen herben Bruch zum traditionellen Frauenbild. Das tun die anderen auch, nur in ihrem speziellen Fall taucht man ab wie in eine ferne Geschichte aus einer anderen unbekannten, kostbaren Welt, die mit Geheimnissen nicht spart.
Einen ganz anderen künstlerischen Weg beschritt die 1928 geborene Okanoue Toshiko, der es um die Erfindung surreal-poetischer Welten ging und nicht um die Abbildung einer Wirklichkeit. Arbeitsmaterialen waren Zeitschriften wie Time, Life oder Vogue, Klebstoff und »die Fingerspitzen«, die sie für ihre phantasievoll-zarten verästelten Collagen einsetzte.
In Japan ist sie eine der bekanntesten Fotografinnen: Ishiuchi Miyako (geb. 1947). Von ihr sind unter anderen drei Aufnahmen zu Hiroshima zu sehen; eine zart gepunktete Bluse, eine bestickte Tasche und eine Kette mit verkohltem Mittelstück, vielleicht einem Stein? Diese Gegenstände werden luftdicht verschlossen in dem Archiv der Gedenkstätte aufbewahrt, und ihr Anliegen ist es, die materiellen Spuren des Vergehens der Zeit festzuhalten. Sobald man vom Hintergrund der Aufnahmen weiß, erschließt sich diese Form der stillen Rebellion sofort.
Eine Form der stillen Rebellion? Vielleicht treibt auch Katayama Mari (geb.1987) diese Idee an bei ihren in goldenen und mit Muscheln und Glitzersteinchen verzierten Rahmen gefassten Fotografien. Himmelblau, kitschig. Doch was dann darauf zu sehen ist, spiegelt den Schrecken ihres Schicksals: sie ist unterschenkelamputiert und stellt Schockmomente aus wie in einer privaten Home Story, dieses zarte blasse Mädchen am Strand, umgeben von stilisierten Prothesen wie von zufällig herangespülten Strandgut.
Wer bin ich? Gute Frage! Ihre Zeitgenossin Sawada Tomoko (geb. 1977) klärt sie mit einem Tableau von 400 Passfotos, die allesamt sie selbst zeigen in den unterschiedlichsten Aufmachungen, Make-ups, Frisuren. Wer ich bin? Nicht zu fassen auf alle Fälle.
Den exakt gegenteiligen Prozess erreicht Okabe Momo (geb. 1981) mit Nackt-Aufnahmen von Personen, die sich im Prozess der Geschlechtsumwandlung befinden. Beide Modelle, Kaori und Yoko, sind Geliebte von ihr und stellen sich unbefangen zur Schau, die aber keine ist – man blickt auf sie wie durch eine grellbunt getönte Scheibe, die erzielte Verfremdung widerspricht sozusagen trotz aller unglaublichen Intimität einer visuellen Ausbeutung.
Dies sind nur wenige Facetten und Biografien einer unbedingt sehenswerten Schau japanischer Fotografinnen, die hier eine umfängliche Plattform gefunden haben.
»I am so happy you are here« – Japanische Fotografinnen im Fotografie Forum Frankfurt
