Je suis Rushdie (101)

Die »Je suis Charlie« Bewegung erinnert an die Lichterkettenorgien mit der die Guten dieser Welt seit beinahe Menschengedenken ihre Bösen – d.h. die Flughafen-, KKW- oder Mülldeponiebetreiber, Konzerne, Banken, Bonzen, die NSA, die CIA oder ganz allgemein die Amerikaner anklagen, anprangern oder einfach nur ausschimpfen, um sich danach besser zu fühlen.
Manchmal wurde derart auch die sogenannte Deutsche Einheit oder eine Weltmeisterschaft begangen. Man trägt schwarz, grau, rot oder gold und bekennt so, dass man dazu gehört. Das ist schön. (Noch schöner wäre, wenn, nur zur Abwechslung, gegen einen wirklich Bösen demonstriert würde – zB gegen die Verbrecher von Boko Haram. An wirksame Maßnahmen wage ich gar nicht erst zu denken.)
Und wenn man »Charlie« braucht, ist er sowieso nicht da. So beklagte die Schweizer Schauspielerin Nathalie Pfeifer, die Absetzung des Theaterstückes »Gesteinigt« im Ciné 13 in Paris auf dem Montmartre nach den Anschlägen auf »Charlie Hebdo«. Im Stück geht es um zwei Ärzte, Abdul aus dem Jemen und Aneke aus Holland. Sie heiraten, lassen sich im Jemen nieder, Aneke bekommt 2 Kinder, will dann keine mehr, sondern sich wieder ihrem Beruf widmen. Die Schwiegermutter ist dagegen, Geistliche üben Druck aus – die Sache endet mit der Steinigung der Frau. Nicht dass so was nie passiert wäre, man kann das aber natürlich (jetzt!?) nicht aufführen, verletzt nur Gefühle und (Scheiß auf Charlie) bringt einen selbst in Gefahr.
Seit 1988 hängt eine Fatwa über Salman Rushdie. Demnach werden demjenigen, der Rushdie ermordet, 2 Millionen Dollar Kopfgeld ausbezahlt. Diese Fatwa wurde erst kürzlich erneuert. Damals wie heute hat sich niemand der Honoratioren, die jetzt »Je suis Charlie« aufsagen, darüber beschwert oder, Himmel hilf, gar die islamische Geistlichkeit aufgefordert, diese Fatwa zu verdammen. Auch eine Strafanzeige wegen Anstiftung zum Mord wurde nie gestellt. Weder die in Deutschland oder sonstwo ansässigen islamischen Interessenverbände noch ihre Funktionäre oder Geistliche, haben sich je klar von dieser Fatwa distanziert. 1988 wurde – im Gegenteil – diese Fatwa von Regierungen und Geistlichen zahlreicher islamischer Länder unterstützt. Es galt und gilt: wenn Gefühle von Muslimen verletzt werden (tatsächlich oder eingebildet), nehmen sie sich das Recht heraus, zu morden. Und der Papst, zum Teufel, hat noch Verständnis dafür; nur das Töten geht ihm ein klein wenig zu weit.
Gegen die neue Ausgabe von »Charlie Hebdo« haben bereits einige islamische Regierungen protestiert. Der türkische Außenminister (auch er ein »Charlie«) hat die Pegida-Leute mit dem IS verglichen. Da die Türkei offenbar den IS unterstützt, ist das entweder ein getarntes Lob – oder einfach nur zum Kotzen.

Kurt Otterbacher

2 Kommentare zu “Je suis Rushdie (101)”

  1. Hallo Kurt,
    sehe ich auch so. Großer Aufschrei, was durchaus auch richtig ist, viel Betroffenheit und dann einfach weiter. Viele andere Sachen geraten aber in den Hintergrund.

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