Junge deutsche Philharmonie spielt sich frei

Foto: iStockphotoSommerliche Reflektionen

Über sommerliche Festivalaktivitäten rund um Frankfurt ist in unserer letzten Ausgabe mehr als ausgiebig berichtet worden – Zeit also für die Hängematte, so man eine hat, und dabei vielleicht die selten gewordene »kulturfreie« Zeit zur Reflektion nutzen. Was ist in Erinnerung geblieben aus der vergangenen Konzertsaison, was wird kommen?

Wie das Rad längst erfunden ist und alle Neuerungen irgendwie nur kosmetische Veränderungen sein können, so kommen manchmal thematische Projekte etwas gequält daher wie alter Wein in neuen Schläuchen. So scheint mir auch die nicht hoch genug zu preisende Junge Deutsche Philharmonie mit ihrer neuen Ausgabe des »FREISPIEL – pubblico«  nicht ganz frei von diesem Geschmäckle: »publikumsrelevante Phänomene« sollen bei dem Festspiel im Freien und an ausgefallenen Spielorten »thematisiert« werden. Hm?
In der Pressemitteilung heißt es, dass »das Publikum bei der inhaltlichen Arbeit so gut wie keine Rolle spielt«, es aber zu Erfolg oder Misserfolg künstlerischer Arbeiten beitrage. Ist das wirklich eine neue Erkenntnis: Musik ohne Publikum kann (k)einen Erfolg haben?
Die Philharmoniker wollten auf thematische Weise ein neues Publikum (pubblico) erreichen, indem sie an Orten spielen, die »inhaltlich anders besetzt sind«. Selbst das ist nicht neu: schon Paul Hindemith ließ eine Ouvertüre zum »Fliegenden Holländer« erkingen, wie sie eine schlechte Kurkapelle morgens um 7 am Brunnen vom Blatt spielt. Das war 1925. Aus den Konzerthäusern hinaus aufs Land zog es z.B. auch die Festspiele in Schleswig-Holstein oder das Rheingau Musikfestival sehr erfolgreich, ohne dabei etwas verkopfte thematische Bezüge herstellen zu müssen.
Um das klarzustellen: Ich mäkle nicht an den hochkarätigen Ideen und Aufführungen, die sich hinter dem FREISPIEL der Jungen Deutschen Philharmonie verbergen – dieses Ensemble ist einzigartig in seinem Anspruch an die Musik und an sich selbst. Was verstört, ist das doch etwas verschwurbelte »sich öffentlich machen« (O-Ton Pressemitteilung) gegenüber angeblich anderer, neuer »Publikumssegmente«. Es ist wie der Anspruch des Bayerischen Rundfunks, mit der Eliminierung des br-Klassiksenders zugunsten eines »neuen« Gemischtwarensenders neue, junge Hörer erschließen zu wollen, die ihre Musik schon lange aus dem Internet oder sonst woher runterladen …
Deshalb, liebe Philharmoniker, werden wir ganz einfach und ohne künstlerisches Hinterfragen mit euch am 15.8. einen Sonnenaufgang, morgens um 6 Uhr, in der Oosten Realwirtschaft erleben wollen, wenn morgendliche Geräusche der Natur sich mit den Klängen der Stadt und eurer Instrumente verbinden.
Oder, als Kontrastprogramm, am gleichen Nachmittag in der Astor Filmlounge in vergessene Stummfilme mit der Musik von Paul Dessau eintauchen. Großartig auch die Idee, ein »Skandal«-Konzert des Neutöners Arnold Schönberg in Wien 1913 wieder aufleben zu lassen, das als »Watschenkonzert« in die Musikgeschichte einging: ob wir uns beim Wiederhören nach mehr als 100 Jahren noch immer abgewatscht fühlen?
Und ganz sicher wird auch ein »Composer Slam« (altdeutsch: Komponistenwettstreit), ebenfalls am 16.8., sein Publikum erreichen, um dessen Wohlwollen sie »buhlen« wollen. Designermode versus Kammermusik steht am 17.8. im Städel auf dem Programm und der Abschluss am gleichen Abend im Bockenheimer Depot wird so etwas wie die Synthese des FREISPIELS werden: Schönbergs Begleitmusik zu einer (imaginären) Lichtspielszene führt zurück zum Composer Slam – der »Gewinner« und sein Publikum werden dessen Werk noch einmal hören, der portugiesische Komponist und Boulez-Schüler Emmanuel Nunes steuert eine »akustische Maske für Ensemble und Live-Elektronik« bei – und Mozart mit seiner letzten, der Jupiter-Sinfonie, wird  (wahrscheinlich) noch immer weit über alles pubblico (öffentlich) hinausweisen.
Auf ein weiteres Projekt der Jungen Deutschen Philharmonie sei schon jetzt aufmerksam gemacht: für eine Aufführung am 7.9. im hr-Sendesaal erarbeitet sie mit dem großen, unermüdlichen, mittlerweile 90-jährigen Maestro Sir Neville Marriner Werke von Prokofieff, Bohuslav Martinu, Alfred Schnittkes ironische »Moz-Art á la Haydn« und, in sinnlich-sinnvoller Folgerichtigkeit, Hadyns Sinfonie mit dem Paukenwirbel.
Keine Frage: das ist (s.o.) publikumsrelevant und phänomenal.

Bernd Havenstein
Termine: 15. bis 17. August
Infos und Karten: www.jdph.de

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