Kunsthalle Schirn zeigt Spionage-Schau »We Never Sleep«

Es war nicht ganz verkehrt, beim Besuch der neuen Schirn-Ausstellung an eine ältere vor Ort zu erinnern. Die hieß »Geheimgesellschaften« (Strandgut 08/2011) und gehörte zu den weniger angenehmen Erfahrungen des Chronisten in der Kunsthalle, weil sie Informationen zu den Exponaten weitgehend geheim hielt. Eine thematische Konsequenz, die sich artverwandt auch für die neue Spionageschau »We Never Sleep« anwenden ließe. Auf ein Neues also? Tatsächlich ist die Kuratorin, Cristina Ricupero, dieselbe.
Ziemlich ausgeliefert fühlt sich denn auch, wer seinen Weg an einem schwarzen Watchtower vorbei durch den mit Stimmen beschallten labyrinthischen Zugang (»The 3rd Degree«) des Holländers Gabriel Lester macht. Zumal er sich danach – wenn auch klassisch – sofort unter Beobachtung weiß: Von einer Parkbank aus verfolgt ihn ein stierendes Augenpaar durch die Blickluken einer vorgehaltenen Zeitung. Rodney Grahams im Leuchtkasten präsentierter »Newspaperman« scheint auf einen unterhaltsamen Parcours einstimmen zu wollen.
Und so sieht es auch aus: Denn entlang des Corona-technisch ausgesteckten Laufkurses weisen immer wieder Filmplakate mit Video-Screens auf das beliebte Genre des Spionagefilms. Von Fritz Langs »Spione« über Jean-Luc Godards »Alphaville« und alle möglichen Hitchcocks und James Bonds bis zur Verfilmung von »Dame, König, As, Spion«. Hallo, hallo, ist das das Film-Museum?
Ist es nicht. Die cineastischen Accessoires und eine Vielzahl realer Bespitzelungswerkzeuge (versteckte Kameras in Kulis; Büchern, Zigarettenschachteln, einem Baumstumpf oder dem bulgarischen Schirm, Abhör-Mikros) bilden die pittoreske Kulisse für etwa 70 teils beauftragte Arbeiten von 40 Künstlern. Vom Glamour und der Faszination bleibt am Ende nicht mehr viel.
Dabei geht der US-amerikanische Fotokünstler Trevor Paglen durchaus detektivisch vor, wenn er mit seinen aus mehreren Kilometern Entfernung (!) gefertigten telefotografischen Arbeiten geheime Stützpunkte des Militärs und der Geheimdienste offenlegt. Man fühlt ein ungutes Grummeln im Magen beim Betrachten der nur schemenhaft abgebildeten düster beleuchteten Gebäude, Fuhrparks und Flugzeuge.
In Konflikt mit dem Niederländischen Geheimdienst geriet die Konzeptkünstlerin Jill Magid ausgerechnet durch einen Auftrag der Behörde selbst. Sie sollte aus Gesprächen mit Agenten (ohne Fotos und Tonband) ein künstlerisches Image entwickeln. Die Arbeit »The Spy Project (2005-2010«), aus der hier die Neonlicht-Installation »I Can BurnYour Face« gezeigt wird, war den Undercoverern denn doch zu heikel. Es wurde konfisziert und zensiert.
Durchaus realgespenstisch knüpft sich Thomas Demand das berühmte »stern«-Bild des toten CDU-Politikers Uwe Barschels 1987 in der Badewanne eines Genfer Hotels vor. Demand baute den Tatort nach Vor-Ort-Studien eins-zu-eins in einem Papiermodell nach, um dieses – ohne den Körper des Toten – zu fotografieren. Wenige Tage vor seinem mysteriösen Tod hatte Barschel das Amt Ministerpräsidenten von Schleswig Holstein niedergelegt, nachdem die Bespitzelung seines Wahlkampfgegners Björn Engholm publik wurde.
Beeindruckend ist die Reaktion der ehedem wegen eines Ausreiseantrags mit einem Ausstellungsverbot belegte Ostberlinerin Cornelia Schleime nach der Lektüre ihrer Stasi-Akte. Die dort notierten Beobachtungen ihrer realsozialistischen Nachbarschaft setzte die Künstlerin in eine großformatige Porträtserie um, die sehr nachdenklich macht.
Ebenfalls in Plakatgröße fertigte die Brasilianerin Dora Longo Bahia eigens für diese Schau vier Collagen über berühmte Spioninnen (»Spy Woman«), auf denen jeweils ein kleines Bildportrait in Schwarzweiß, mit dem auf einer Landkarte rot eingefärbten Wirkungsbereich der Protagonistinnen, einer Schusswaffe und einer dokumentarischen Aufnahme aus befreiten Konzentrationslagern verbunden werden. Eine assoziativer Rahmen, der sowohl ihr Anliegen, als auch ihre Risiken assoziieren lässt: Die Spionagetätigkeiten von Greta Garbo, Sonja Wigert, Alice Marble und Coco Chanel werden hier gewürdigt.
In unmittelbarer Nachbarschaft werden Mata Hari mit einem Filmausschnitt (Jeanne Moreau in Truffauts »Mata Hari, Agent H.21«) und einer Devotionalien-Vitrine sowie Josephine Baker und Mathilde Carré mit Gemäldeserien von Mieko Meguro bedacht. Fast sowas wie eine geschlossene Abteilung und damit eine Ausnahme auf einem Parcours, der durch seine gewollte Unübersichtlichkeit leider schnell müde macht.

Lorenz Gatt (Foto: © Norbert Miguletz)

Bis 10. Januar: Di., Fr.–So., 10-19 Uhr, Mi., Do., 10–22 Uhr, www.schirn.de

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