Landungsbrücken: »Sie Heil – Hitler, wie sie keiner kennt« und »B*Bitch!«

Bezirzt, berauscht, bescheuert

Er ist wieder da, heißt es jetzt auch in den Landungsbrücken, wo Adolf Hitler ja kein unbekannter ist. Aber er braucht dafür dieses Mal einige Zeit. Zum Beginn von Hannah Schassners Stückentwicklung »Sie Heil«  denkt niemand auch nur im Entferntesten an den Braunauer Obernazi. Im Gegenteil: Den Darstellerinnen Marlene Zimmer und Iris Reinhardt-Hassenzahl steht der Sinn nach ganz anderem. Die zwei wohl meistbeschäftigten Schauspielerinnen der Freien Szene in Frankfurt hadern und zetern über ihr Bühnenschicksal. Höchst unzufrieden hinterfragen sie, was sie für ihre Zuschauer immer wieder verkörpern müssen.
Schließlich wird Marlene allzu gern als das brüchiges und oft auch recht schlichtes Sensibelchen, das unsere edleren Gefühle anspricht, besetzt, ob sie nun das Seffchen im Heine-Projekt bei Willy Praml, die Grace in »Das Schicksal ist ein mieser Verräter« ( St. Peter) oder die Charlotte in »Die Leiden des jungen Werther« (Dramatische Bühne) gibt. Iris findet ihr Publikum meist eine Gefühlslage südlicher  als kesse, selbstbewusste und furchteinflößend emanzipierte Fraufrau, ob in der Performance »Sex Sells« (Kaiserpassage), als Prostituierte Magdalena in »Sex oder so« (Stalburg) oder als Lämmchen in »Kleiner Mann, was nun?« (Ex-Volkstheater).  Ich bin ja schon wieder ohne, stellt sie ein ums andre mal fest.
Dass Schauspieler aus der Rolle fallen können, muss bei solchen Selbstflexionen nicht überraschen. Auch nicht, dass sie plötzlich über eine solche nachdenken, die sie ernsthaft nie bekämen, weil sie schlicht das Gegenteil von weiblich ist – wie die des Adolf Hitler.
Was aber wenn? Eher spielerisch zunächst lassen sie sich in das, was sie von A. H. wissen, ein und versuchen unter Verwendung von reichlich zusammengetragenem Material, jedem Klischee und jeder Parodie aus dem Wege zu gehen. Sie arbeiten, wie es so schön in der Ankündigung heißt, die »Hitlergründe« auf und stellen dieser deutschen Verführung die »braune Evchen-Frage«, wohl wissend, dass so ein Hitler nicht vom Himmel gefallen ist, sondern zu überzeugen wusste.
Es versteht sich, dass jede ihren eigenen talentgemäßen Zugang sucht und Hitler bei Marlene Zimmer anders ausfällt als bei Iris Reinhardt-Hassenzahl. Dabei gewinnt für sie wie auch für die Zuschauer der Dargestellte immer mehr Raum, ergreift von ihnen psychisch und physisch Besitz – wird immer konkreter, aber auch immer aktueller, immer realer. Bis sich die unausweichliche Frage stellt, wer denn nun die wirkliche Hitler von ihnen ist. Schließlich kann es der Natur der Sache gemäß nur eine geben. Wo kämen wir sonst hin!
In Frauenhand ist bereits der Auftakt der »Schöner-wird’s-nicht«-Saison in den Landungsbrücken. Ewgeniija Weiß aus Ute Bansemirs Kaderschule in der Theaterperipherie gibt ihr Regiedebüt mit dem Genderstück »B* Bitch!«. Drei junge Frauen lassen uns »laut und hart«, so wird es versprochen, an der weiblichen Selbstermächtigung teilhaben.

Winnie Geipert (Foto: © Niko Neuwirth)
Termine »Sie Heil«: 22., 23. September, jeweils 20 Uhr
Termine »B* Bitch!«: 10., 11., 24., 25. September, jeweils 20 Uhr
www.landungsbruecken.org

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