»Mit Köpfen und Körpern«, Christa von Schnitzler im Karmeliterkloster

Zum einhundertsten Geburtstag der Bildhauerin (12.7.1922–28.6.2003) ist jetzt im Kreuzgang des Karmeliterklosters eine Auswahl ihrer Werke zu sehen, und man kann nur sagen, dieser Ort ist trefflich, ja kongenial gewählt. Die Stille, die klare Linie der Architektur, die Ausblicke auf den Garten konzentrieren förmlich die Atmosphäre auf ihre Arbeiten, stellen sie in ruhigem Bezug zu den Ratgeb-Fresken: das alles erzeugt eine kontemplative Wirkung. Nichts Schrilles oder Aufmerksamkeit Heischendes stört die Auseinandersetzung und Betrachtung der Exponate. Und die sind herausfordernd: Kein einziges Werk, das sie schuf, trägt einen Namen; die Assoziation, die Enträtselung liegt in den Augen des Betrachters. Nicht einmal Jahreszahlen fungieren als ordnendes System, obwohl sich natürlich Phasen in der künstlerischen Entwicklung und Ausrichtung feststellen lassen.
Die aus einem wohlhabenden Elternhaus stammende Künstlerin hatte in Frankfurt eine in Kunst-und Gesellschaftskreisen berühmte Tante, Lilly von Schnitzler, Gattin des Vorstandsvorsitzenden der Farbwerke Hoechst und später IG Farben, dessen politische Ausrichtung während des Nationalsozialismus natürlich eindeutig war, seine Frau aber nicht davon abhielt, verfemte, »entartete« Kunst zu sammeln und sich von Max Beckmann malen zu lassen. Früh also kam Christa von Schnitzler mit Kunst, mit dem Städel in Berührung, studierte von 1942 bis 1944 in der Klasse von Toni Stadler gemeinsam mit ihrem späteren Ehemann Matthias Croissant und Hans Steinbrenner. Wenn es derzeit nicht so abgegriffen wäre, könnte man sie und ihren Mann als ein kleines Kollektiv betrachten, das gemeinsam Ideen entwickelte und sich gegenseitig die Arbeiten präsentierte und diskutierte; in der Tat war die eindeutige Autorenschaft nicht immer ganz leicht zu ermitteln, wie die Kuratorin Claudia Olbrych erzählt, als man Schnitzlers Werke aus einem gemeinsamen Fundus ihrer Münchner Zeit barg. Von 1966 an unterrichtete Matthias Croissant am Städel, Christa mietete sich ein Atelier in der Textorstraße.
Die Ausstellung beginnt mit einem Frühwerk, einem Frauenporträt, welches das Bildnerische noch klar umrissen in sich trägt, später dann gleiten die Plastiken ganz allmählich in die Abstraktion hinüber. Schräg gegenüber die einzige Skulptur aus Eisen, einer der Antike entnommenen Stilisierung des Kopfes.
Die »informelle Phase« ist in ihrer Abstraktion teilweise verstörend, wild, aufgebrochen, mit rauen, spitzen, welligen Oberflächen. Lassen sich Vögel im Flug erkennen, aufbrechende Torsi, Menschen, Zwitterwesen? Vermutlich versteht sich diese Phase auch als Reflex auf die Nachkriegszeit, obwohl Christa von Schnitzler nie eine immanente politische oder gesellschaftspolitische Stellung für ihre Kunst in Anspruch nahm. Die einzige Bezugnahme zu ihren berühmten Stelen war, dass sie sie als »Frauen« dachte.
Wobei wir bei dem bekanntesten Oeuvre ihrer Werkgruppen angelangt sind: Christa von Schnitzler’s Stelen errangen in der Kunstwelt die größte Aufmerksamkeit, auch in Frankfurts Sandgasse steht eine. Doch die Ausstellung will gerade sie nicht in den Vordergrund rücken, sondern ihre gesamte künstlerische Fülle zeigen, und so bilden die Stelen den Schlusspunkt ihrer Werkschau, die sich in den Klostergarten hinein verlängert mit sechs weiteren ihrer enigmatischen Arbeiten, die hier in Gesellschaft zweier Steinplastiken von Hans Steinbrenner zu finden sind. Ihre Stelen sind aus Bronze gegossen, aber auch aus billigen Holzleisten gefertigt, aus Balken und Latten, die sie zusammenzimmerte und schwarz einfärbte oder weiß schlämmte. Stehende, mit dem Standbein spielende, zart geschwungene, einmal recht deutlich in die fast vollständige Abstraktion gedrehte. Christa von Schnitzler wird dazu in dem vorzüglichen Katalog von Claudia Olbrych – eigentlich dem ersten, den es zu ihrem Ouevre gibt – zitiert: »ch möchte sagen, dass da nur noch ein Kern, eine ganz zarte Bewegung sichtbar ist. Ein einfaches Dasein, gebärdenlos, während die Zeit vorbei geht.«
Sie sind rätselhaft, still, kraftvoll und einzigartig.

Susanne Asal / Foto: Ausstellungseinblick 10 (Kreuzgang Nord)
Mit Köpfen und Körpern. Christa von Schnitzler zum 100. Geburtstag,
© ISG FFM/Foto: Uwe Dettmar

Bis 30. April 2023, im Karmeliterkloster, Institut für Stadtgeschichte:
Mo.–So., 11–18 Uhr
www.stadtgeschichte-ffm.de

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