Museum Wiesbaden würdigt Käthe Kollwitz und Ernst Barlach und fremdelt mit Fritz Erler

Positionen zum Krieg

Es ist nicht auszuschließen, dass Käthe Kollwitz zur amtlichen Mitteilung des Deutschen Heeres über den Heldentod ihres für das Kaiserreich gefallenen Sohnes Peter im Oktober 1914 eines jener Schreiben erhalten hat, das die Motive ihres Künstlerkollegen Fritz Erler zierten. Der völkische Militärmaler und spätere Nazi und die resolute Pazifistin sind jetzt im Wiesbaden unter einem Dach ausgestellt – allerdings keineswegs vereint. Die zwei so konträren künstlerischen Positionen sind im Museum der Landeshauptstadt nicht nur inhaltlich und qualitativ, sondern auch  räumlich weit voneinander entfernt und haben als einzige Klammer das aktuelle Gedenkens an den vor 100 Jahren in Europa wütenden Krieg: »Kollwitz und Barlach – Im Tod vereint« und  »Fritz Erler in Verdun – von der Scholle in den Krieg«. Mit der Schau »August Macke bei Jawlensky« beleuchtet das Wiesbadener Museum parallel gar eine dritte Auseinandersetzung mit dem Krieg, auf die hier aber nur hingewiesen sei.
Die Arbeiten von Käthe Kollwitz dominieren die ihrer langjährigen Freundschaft  mit Ernst Barlach gewidmeten Ausstellung, deren Titel auf die bis in ihr konkretes Schaffen reichende gegenseitige Verehrung beider anspielt. Ein Barlach-Engel in der Kölner Antoniterkirche trägt die Züge der Künstlerin, die ihrerseits 1938 den zwei Jahre zuvor verstorbenen Freund in dem Relief-Porträt »Die Klage« ehrt – mit sein Gesicht halb verdeckenden Händen. Beide sind als Schöpfer »entarteter Kunst« mit Ausstellungsverboten belegt gewesen und haben das Ende der Nazidiktatur nicht mehr erlebt. Ernst Barlach starb schon 1936, Käthe Kollwitz kurz vor Kriegsende 1945.
Mit der 1934 entstandenen Plastik »Der Flötenbläser« stellt uns Barlach einen wie apathisch ins Leere pfeifenden hageren Mann vor, der zu viel mehr, als einem hohlen, melodielosen Pfeifton, kaum mehr imstande sein sollte. Ein Spiegel dessen gewiss, was der Künstler nach der Machtergreifung empfunden hat. Ergreifend, eindringlich – Attribute, die für fast alle Exponate taugen – wirkt auch die ihr junges, männliches Gegenüber tastende alte Frau. »Die Wiederkehr« verlagert die Begegnung Marias mit Jesus nach der Auferstehung in den Erfahrungsbereich des Alltags.
Erstmals sind im Besitz des Museums befindliche Bleistiftskizzen Barlachs ausgestellt, die auf seiner literarisch aufbereiteten »Steppenfahrt« in den Süden Russlands 1906 entstanden. In den frühen, noch um ihre Form ringenden Typenstudien sind ausnahmslos gesellschaftlich randständige Figuren charakterisiert: Bauern, Bäuerinnen, Bettler und Marktfrauen.
Engagierter und direkter sprechen den Betrachter die Arbeiten seiner Geistesschwester an, die das Museum mit einer thematisch alle Stile und Schaffensperioden reflektierenden Werkschau würdigt. Die 1867 geborene Königsbergerin erntete 1898 ersten Rum durch ihre Radierungen und Lithografien zu Gerhart Hauptmanns »Der Weberaufstand«. Sechs Blätter, die ganz dem unsäglichen Leid der verelendeten Menschen gelten. Mit einer Ausnahme sind in allen Szenen Frauen und Kinder präsent. Mit dem Ersten Weltkrieg und ihrer  persönlichen Tragödie um ihren Sohn Peter dringt der Tod noch tiefer in ihre Werke. Gegen den Willen ihres Mannes hatte Käthe Kollwitz den Wunsch des 17-Jährigen zum Freiwilligendienst unterstützt, der nur zehn Tage während sollte. Das Trauma ist besonders in den Blattfolgen des Holzschnitts »Freiwillige« präsent, die Peter mit anderen jungen Männern wie in Trance dem Trommler Tod folgen lassen. Eines ihrer zahlreichen Selbstporträts, mit denen sie ihre Botschaften, Apelle und Mahnungen bekräftigt, zeigt ihr Gesicht mit fahrigen dünnen Zügen in einem haltlos wuchernden Weiß.  
Auch die Plakate »Nie wieder Krieg!« und »Brot«, sowie der Holzschnitt  »15. Januar 1915« mit der aufgebahrten Leiche des ermordeten Karl Liebknecht sind ausgestellt, wie auch ein kleiner Zyklus von Mutter-Kind-Szenen, die ganz für sich stehen und allem Irdischen entrückt zu sein scheinen.
Sich nach Kollwitz und Barlach ausgerechnet Fritz Erler anzutun, kommt einem Schlag in die Magengrube gleich, Blutdurchtränkte weiße Mullbinden sind das Auffälligste an den Figuren der fünf 1915 bis 1917 entstandenen düster-heroischen Großformate in Öl mit Szenen aus Schützengräben, Schlachten und Lazaretten. Sie sind über einen Nachlass ins Depot gelangt. Dass sie nun zusammen mit propagandistischen Zeichnungen und Drucken von Erler-Motiven für Kriegs-Bonds oder NS-Parolen im Zweiten Weltkrieg überhaupt ausgepackt worden sind, gründet vor allem in der Bedeutung der von ihm 2006 gemalten Fresken im Muschelsaal des Kurhauses und in seiner Reputation als exponiertem Vorläufer des Jugendstils. »Wir wollten diese Seite Erlers nicht verschweigen«, heißt es im Museum dazu. Nach der Ausstellung wird der spätere Porträtist Hitlers und anderer Nazigrößen wieder dahin entsorgt, wo er hingehört.

Lorenz Gatt (Foto: © Bernd Fickert)
Bis 9. Oktober (Erler), bis 23 Oktober
(Kollwitz/Barlach und Macke) Di., Do. 10–20 Uhr; Mi., Fr.–So. 10–17 Uhr
www.museum-wiesbaden.de

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