Neues zur Buchmesse

Brasilien erzähltMessesplitter

Es sind jedes Jahr knapp hunderttausend Neuerscheinungen unter den knapp vierhunderttausend Büchern auf der Frankfurter Buchmesse zu betrachten. Jede Auswahl aus diesen UnMengen ist deshalb willkürlich. Auch unsere vom »Strandgut«. Aber bei uns hat die Willkür System.

Brasilien:

Wer sich einen Überblick, ja sogar schon einen Einblick über die Literatur des diesjährigen Gastlandes der Buchmesse verschaffen will, ist mit dem von Christiane Freudenstein herausgegebenen Band »Brasilien erzählt« richtig beraten. Die großen Alten der brasilianischen Literatur wie Jorge Amado, Joao Guimaraes Rosa, Darcy Ribeiro, Mário de Andrade und Clarice Lispector sind hier ebenso vertreten wie junge, bei uns noch unbekannte Autoren. Brasiliens Geschichte und Gegenwart sind hier zu entdecken.
Brasilien erzählt. Hrsg. von Christiane Freudenstein. Fischer TaschenBibliothek, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2013, 327 S., 12 €

Zu den großen Talenten der jüngeren brasilianischen Literatur zählt Daniel Galera. 1979 geboren, lebt er als Übersetzer und Erzähler in Porto Alegre. Sein erster ins Deutsche übersetzte Roman »Flut« erzählt eine dunkle, geheimnisvolle Familiengeschichte über drei Generationen. Es beginnt mit einem Knalleffekt und geht turbulent weiter. Der Held hat ein Handikap. Und seine Geschichte – ein gutes Ende.
Daniel Galera: Flut. Roman. Übersetzt von N. von Schweder-Schreiner.  Suhrkamp Verlag, Berlin, 2013, 425 S., 22,95 €

Ein Gewitter in der Serra Morena. Der Blitz schlägt in das Haus der Familie Malaquias ein. Die Eltern werden vom Blitz erschlagen. Die drei Kinder überleben mit leichten Verbrennungen. Dann trennen sich ihre Wege, Waisenhaus, Adoption. Armut und Elend. Doch irgendetwas treibt die Geschwister an, einander zu suchen. Bevor das Dorf ihrer Kindheit endgültig verschwindet, es soll einem Staudamm weichen, kehren sie in diese magische Welt, mitten im gegenwärtigen Brasilien zurück.
Andréa del Fuego: Geschwisters des Wassers. Roman. Übersetzt von M. Gareis. Hanser Verlag, München 2013, 204 S., 17,90 €

Sachbücher:

Der in Cambridge lehrende australische Historiker Christopher Clark, bekannt geworden durch sein Standardwerk »Preußen. Aufstieg und Niedergang« (2007) hat jetzt, pünktlich zur Messe, eine weitere monumentale Studie auch auf deutsch herausgebracht: »Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog«, das, wie es (zu Recht) in der FAZ heißt, »Buch des Jahres«. Clark beschreibt ebenso anschaulich wie eindringlich,wie die europäischen Großmächte in die erste große Katastrophe des 20. Jahrhunderts hineingeschlittert sind. Seine These: es gibt keinen Hauptschuldigen.
Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. Aus dem Englischen von N. Juraschitz,DVA, München, 2013, 895 S., 39,99 €

Man kennt den Mann, der ungerührt den Tod seiner Mutter zur Kenntnis nimmt und kurz darauf einen Einheimischen, einen Algerier, erschießt. Mit diesem Buch »Der Fall« wurde der Autor schlagartig berühmt. Im November wäre er hundert Jahre alt geworden, einer der wichtigsten Schriftsteller und Denker des 20. Jahrhunderts: Albert Camus. 1960 kam er, absurderweise, bei einem Autounfall ums Leben, gut zwei Jahre nachdem er den Literaturnobelpreis erhalten hatte. Martin Meyer, der Feuilletonchef der Neuen Zürcher Zeitung, hat Camus in den Kämpfen der Zeit, seinen Auseinandersetzungen mit Sartre, anschaulich beschrieben, um zu zeigen, was uns Camus heute noch zu sagen hat.
Martin Meyer: Albert Camus. Die Freiheit leben. Carl Hanser Verlag, München 2013,368 S., 24,90 €

Literatur:

Die Autorin und Filmemacherin Andrea Stoll hat bereits über die Bachmann promoviert. 2008 gab sie den sensationellen Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan mit heraus. Jetzt, nach jahrzehntelanger Beschäftigung, hat sie eine große Biographie über die österreichische Dichterin fertiggestellt, die vor vierzig Jahren an ihren Verbrennungen starb. Sie konnte erstmals auf unveröffentlichte Dokumente und Zeugnisse zurückgreifen und so ein beeindruckendes Bild dieser zerrissenen Existenz entwickeln.
Andrea Stoll: Ingeborg Bachmann. Der dunkle Glanz der Freiheit. Biographie. C. Bertelsmann Verlag, München, 2013, 383 S., 22,99 €

Der Mittagsschlaf stand im Zentrum seines Lebens. Sein Name wurde darum sprichwörtlich: Oblomow. Diese Geschichte eines russischen Adeligen (bzw. des russischen Adels) machte Iwan Gontscharow weltberühmt. Einige Züge seines Helden sind auch dem Autor eigen. So seine Abneigung vor der Ehe. Jetzt, für viele seiner Leser eine große Überraschung, ist ein Buch erschienen, das Gontscharow überraschend anders zeigt: »Herrlichste, beste, erste aller Frauen. Eine Liebe in Briefen«. Eine, wie es heißt, wahre Geschichte. Auf alle Fälle ein packendes Buch.
Iwan Gontscharow: Herrlichste, beste, erste aller Frauen. Eine Liebe in Briefen. Hrsg. u. übersetzt von Vera Bischitzky. AufbauVerlag, Berlin 2013, 205 S., 16,99 €

Kehlmann. Mittlerweile, seit der »Vermessung der Welt« (2005), ist der Autor ein Markenname geworden. Jedes neue Buch ein Bestseller. Und überall besprochen, klar. Und trotzdem zu empfehlen? Ja. Uneingeschränkt. Denn man muss Daniel Kehlmanns neuen Roman mit dem rätselhaften Titel »F« lesen, wenn man wissen will, wie es um unsere gegenwärtige Literatur steht. Kehlmann erzählt die Geschichte von drei Brüdern, die – jeder auf seine Weise – Fälscher und Betrüger werden und eine neue Stufe der Fiktion verkörpern.
Daniel Kehlmann: F. Roman, Rowohlt Verlag, Reinbek, 2013, 380 S., 22,95 €

Sigrid Lüdke-Haertel

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