Starkes Debüt, Vollblutroman – Zu Felicitas Korn »Drei Leben lang«

Dies ist einer der Romane, die für mich unterm Strich von diesem Jahr bleiben und denen man – Corona zum Trotz – ein langes Leben wünscht. »Drei Leben lang« von Felicitas Korn erschien, als sich das Corona-Loch gerade auftat. Die Autorin hat darüber beim Online-Magazin »CulturMag« geschrieben:

»Was danach kam, ist die Absage der Leipziger Buchmesse, die Absage deutschlandweiter Lesungen und Veranstaltungen, die Schließung des lokalen Buchhandels, die Überlastung der Presse in Print, Hörfunk und TV, die gerne über das Buch berichten sollten und wollten, aber Corona bestimmt erstmal alles. So rückt »Drei Leben lang« immer weiter in den Hintergrund, Termine und Events, die der Verlag und ich seit Monaten planten, sind unwiderrufbar verloren – und damit die wichtigsten ersten Chancen auf Aufmerksamkeit für den Roman.«

Fast ein Dutzend abgesagter Lesungen, das hinterlässt eine Brandspur. Auch das Filmprojekt, das Felicitas Korn in Arbeit hat, geriet on hold. In Bad Soden am Taunus, wo ich zu einem Verein gehöre, der das örtliche Kino vor der Schließung gerettet hat und jetzt mit Sonder-Veranstaltungen unterstützt, hatten wir im Sommer im Kino-Innenhof ein spontanes und dann äußerst erfolgreiches Open-Air-Kino gemacht; auch zwei Lesungen dabei waren ausverkauft gewesen. Für den Buchmessen-Mittwoch verabredeten wir eine Lesung für »Drei Leben lang«, es wurde dann erst der dritte öffentliche Auftritt vor Publikum für das Buch. Und jetzt ist schon wieder Sendepause. Diese Besprechung hat als Hintergrund also auch einen Praxistest. Der Lese-Abend war so, dass sich unsere Vereinsmitglieder hinterher bedankten und die Autorin gar nicht wieder ziehen lassen wollten.
Ich selbst war Felicitas Korn zuerst als Filmemacherin begegnet, nämlich als ihr Spielfilm-Debüt 2006 bei der Filmbewertungsstelle Wiesbaden (FBW) eingereicht war, bei Deutschlands ältester Filmförderungsinstitution, von der die Prädikate »wertvoll« und »besonders wertvoll« vergeben werden. »Auftauchen« erhielt das Prädikat »wertvoll«, das oft das Kennzeichen für einen kontrovers diskutierten, aber hochinteressanten Film ist. In der Begründung hieß es: »Der dokumentarisch geprägte Debütfilm ist vor allem auch die Sternstunde einer jungen, exzessiven und mutigen Schauspielerin: Henriette Heinze als Nadja … Besonders bemerkenswert bei diesem Film ist die Radikalität des Entwurfs. Der Film wirkt ungekünstelt, wirkt echt«. Beim Brooklyn International Film Festival im Jahr 2007 wurde Felicitas Korn dann mit dem Nachwuchspreis Beste Regie ausgezeichnet.

Filmemachen also kann sie. Aber auch einen Roman? Ich hatte ein wenig Angst, das auszuprobieren. Dieses Gefühl aber verflog schnell. »Drei Leben lang« ist einer jener Romane, in denen man schon nach wenigen Seiten sicher ist, in erzählerisch guter Hand zu sein, in denen die Charaktere schnell plastisch und lebendig werden – und vor allem: interessant. Das alles bei Felicitas Korn in einer klaren, schnörkellosen, direkten Sprache. Das sieht einfach aus, ist aber das Ergebnis harter Arbeit. Einfach so findet kein Bergbach seine Bahn, dafür, dass das Wasser klar bleibt, muss erst mal viel Schmodder weggeräumt und weggespült werden. Felicitas Korn hat sich diese Arbeit gemacht. Den Lohn streichen wir Leserinnen und Leser ein. Es ist ein aufregend gut geschriebener Roman. Physisch und vital wie ein Film von Howard Hawks, der keine Künstlichkeiten kannte.

Das Buch folgt drei Erzählsträngen. Drei männlichen Protagonisten unterschiedlichen Alters, jeder von ihnen in einer Krise, einer baldigen Entscheidung zusteuernd. Jeder von ihnen ist mit einer Frau gekoppelt, jede von ihnen ein ernsthaftes Gegengewicht, wir folgen also auch drei Paaren. Sechs Lebensentwürfen.

»Trauma und so«, das klingt mehrmals wider in Michis Kopf. Er ist vierzehn und es sind die Worte, die Polizisten nuscheln, als sie seine Eltern nach einem schweren Autounfall in graue Planen packen. Eigentlich war die Familie nach Spanien unterwegs, jetzt sitzt Michi mit seiner jüngeren Schwester in einem Übergangsheim im Taunus und hat Angst, dass sie getrennt werden. »Wie unter einer Glocke« fühlt er sich seit dem Unfall. Wo ist Halt für ihn in dieser beängstigenden Lebenssituation, die so unerwartet über ihn hereinbrach? Alle alten Selbstverständlichkeiten sind zerstoben. Aber er hat Xandra.

Da ist Loosi, dem wir zuerst in der Notaufnahme der Frankfurter Uniklinik begegnen. Dort haben sie ihm wegen einer akuten Alkoholvergiftung den Magen ausgepumpt. Der Arzt kennt seine zu siebzig Prozent zerstörte Leber, untersucht sie bereits zum vierten Mal. »Wenn Sie nicht sofort aufhören zu trinken, gebe ich Ihnen höchstens noch zwei Monate?«. So lange noch? denkt Loosi. Seinen Namen darf man sich gerne vom ähnlich lautenden englischen Verb ableiten. Er ist Alkoholiker, arbeitslos, hält recht wenig von sich selbst. Loosi eben. Aber er hat Sanni.

Da ist King. Er und Jana wären eigentlich das perfekte Paar, und jeder schnallt es, nur Jana nicht. Sie hat sich stattdessen Mekki geangelt, ausgerechnet. Denn der ist Kings Boss. Und gerade okkupiert er Kings Büro, als wäre es seins. Wie jedes Mal, wenn er kommt. Dem King geht das auf den Sack, denn er hat aus dem »Kingdom« den erfolgreichsten Club der Stadt gemacht. Die letzten Wochen hat er ihn in eine funkelnde Schneelandschaft verwandeln lassen, Kunstschnee natürlich, alles so rein wie seine Ware und der perfekte Waschsalon für Mekkis dreckige Kohle. Und wer nett ist zum King, der bekommt auch etwas ab vom reinsten Koks der Stadt. Mekki ist dagegen, dass der King es auch direkt im Club vertickt. Wie er überhaupt etwas dagegen hat, dass der King bald das Ruder übernimmt. Aber der will es, unbedingt. Und er will Jana.

Ich muss gestehen, vor King habe ich bei diesem Buch am meisten Angst gehabt, wie Felicitas Korn das wohl schafft, uns an all den Klischee-Fallen vorbei einen Koksdealer in Frankfurt am Main zu präsentieren, Penthouse mit geilem Blick inklusive. »Frankfurt ist und bleibt seine Heimat«, heißt es auf Seite 266. »Hier ist er Mensch, hier will er sein.« Meine Sorge war schnell verflogen. Auch King wird zu einer dreidimensionalen Figur, eine, um die wir uns sorgen, obwohl er nicht so richtig sympathisch ist. Und natürlich gibt es Action, Howard-Hawks-Action, mit ihm.

Felicitas Korn hat in ihre Figuren viel Arbeit gesteckt, hat in den jeweiligen Milieus ausgiebig recherchiert. Das aber reibt sie uns nicht unter die Nase, alles Belehrende ist ihr fremd. Das Buch profitiert hier ganz klar von ihrem Background als Filmemacherin, das bestätigte sich auch in der Diskussion, die bei der Lesung in Bad Soden entstand. In einem Film bleibt beim Auftauchen einer Figur keine Zeit für Erklärungen, sie ist einfach da, definiert sich durch Auftritt und Action. »Sie ist einfach da. Das muss sitzen.«

Aber erneut: Genau das ist das Schwierige. Genau das, da sind sich alle Großen ihrer Zunft einig, ist die Herausforderung. Das Schwierige ganz leicht und selbstverständlich aussehen zu lassen. Der Roman von Felicitas Korn spielt in dieser Liga mit. Ein wirklich starker Auftritt für eine Debütantin.

P.S. Wie ungeheuer stark dieser Roman ist, das wird bei der Lektüre endgültig in der Stadionrunde klar. Auf den letzten Metern schlägt das Buch einen Salto, der beim Wettbewerb um das beste Roman-Ende garantiert einen Podiumsplatz einbringen würde. Eigentlich will (und muss) man das Buch danach sofort wieder von vorne mit neuem Blick lesen. Die Figuren bleiben eh eine ganze Weile bei einem.
Und, noch eine Nachschrift: Der Roman wird gerade verfilmt, durch Corona leider etwas gebremst. Aber so wie ihre Figuren lässt sich Felicitas Korn sicher nicht bremsen …

Alf Mayer (Foto von Felicitas Korn: © Barbara Rohm)

Felicitas Korn: »Drei Leben lang«, Kampa Verlag, Zürich 2020, 304 Seiten, 22 €.
Siehe auch: www.felicitaskorn.de

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