Theater Landungsbrücken zündet Sam Shepards verwirrendes Beziehungdrama »Fool for Love«

Liebe im Fleischwolf

Was wird es wohl sein, was May und Eddie so sehr bindet? Wir erfahren davon zunächst nur, dass er sich nicht zum ersten Mal in Bin-dann-mal-weg-Manier über Wochen oder gar Monate bei »der Gräfin« oder sonst einer »Pussy« verlustiert hat. Und wir sehen, dass nun wieder fordernd vor ihr steht: ein Cowboy ohne Hut und Pferd, aber in Jeans und Camo-Jäckchen, mit einem Wohnwagen, in den er seine ausgerissene May zurückordert. Sie aber will ein neues Leben mit neuen Menschen – und einem neuen Mann, der vielleicht ihre anstehende Verabredung (Martin) ist. Doch in jedem ihrer »Verpiss-dichs« an Eddie stickt auch ein »Bleib!«.
Man spürt es sofort. Es ist ein quälendes, schmerzvolles Ritual, in das sich beide schicken. Ihre zerfleischenden Gespräche stehen in ihrer Giftigkeit denen von George und Martha aus Edwards Albees »Wer hat Angst vor Virginia Woolf?« nicht nach, auch wenn es in Mays billiger Motel-Absteige im US-amerikanischen Nirgendwo um sehr viel anderes geht als in der Professorenvilla. Eddie und May haben, wie man allmählich erfährt, denselben Vater, wussten aber nichts davon, als sie vor 15 Jahren zueinander fanden. Inzest – das ist es, was sie nicht voneinander loskommen lässt, der »Pakt«, auf dem Eddie beharrt, und der nicht einziges Mal beim Namen genannt wird.
Schon 1983 hat der vor einem Jahr verstorbene Autor, Schauspieler, Musiker und Ex von Patti Smith, Sam Shepard, das Beziehungsdrama »Fool for Love« (Deutsch: »Liebestoll«) verfasst, das bald darauf Robert Altmann verfilmte. Boris C. Motzki gibt mit dem »modernen Klassiker« sein Regie-Comeback in den Landungsbrücken, wo er zuletzt Heiner Müllers »Quartett« (2012) und Jakob Arjounis »Hausaufgaben« (2009) inszenierte. Mit Istvan Vince und Carolin Freund stehen zwei von den Staatstheatern Darmstadt und Wiesbaden bekannte Schauspieler im Zentrum des Stücks, Nikolas Weber spielt Martin als ein von der Situation überfordertes Bürschlein. Und Edgar M. Boehlke leiht der Geisterrolle des Old Man, die sich als die des gemeinsamen Vater der beiden entpuppt, seine Reibeisenstimme vom Band.
Zwei kreuzförmig aufgebaute Spielstege geben den grauen Ort dieser Begegnung vor, dessen Tristesse mit Nick Cave (»Brompton Oratory«) und Leonard Cohen (»Treaty«) hart an der Schmerz- und Schmalzgrenze lautgezeichnet wird. Vince stattet seinen schnell aufbrausenden Eddie mit einer fragilen Souveränität aus, die uns erlaubt, in ihm mehr als nur ein Arschloch zu sehen. Er droht, er bettelt und rast vor Eifersucht – oder tut nur so – und zerlegt in einer starken Szene genüsslich Mays Verabredung mit Martin. Carolin Freunds überlegene May lässt Eddie zwar auflaufen, aber auch spüren, wie unendlich müde (»Du wirst mich auslöschen!«) sie diese Auseinandersetzung in der Endlosschleife macht. Während Martin in diesem Duell als Brandbeschleuniger fungiert, kommt der enorme Sog dieses Stücks von der Vaterstimme aus dem Off mit all jenen fast gleichgültig verkündeten Ungeheuerlichkeiten, die sich in der Geschichte der Kinder zu wiederholen drohen und ihre symbiotische Nähe begreifbar machen. Fesselndes Stadttheater können die Landungsbrücken also auch. Glückwunsch.

gt (Foto: © Volker Oetzel)
Termine: 14., 15. April, jeweils 20 Uhr
www.landungsbruecken.org

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