Tocotronic – Schlachthof Wiesbaden

Was tut man als Musiker, wenn man sich nicht über Jahre selbst zitieren will, wenn man den festen Willen hat, dem Warenkreislauf Popmusik ein donnerndes »Nein!« entgegen zuschleudern? Zum Beispiel dies: Man verringert das Identifikationspotential mit seinen Hörern. Im Falle der Hamburger Band Tocotronic begann diese Entwicklung schon im Jahr 1999 mit dem Album »K.O.O.K.« und fand 2002 bei dem Nachfolger »Tocotronic« seine Fortsetzung.
Keine Hass-Lieder mehr wollte die vielleicht wichtigste deutsche Rockband der neunziger Jahre schreiben, keine Kampfansagen mehr, nicht mehr für ihre Generation sprechen – und veränderte sich auch optisch. Statt Trainingsjacken trug man nun schlichte, schwarze Hemden, statt verwackelten Polaroids zierte ein einfacher Schriftzug das Cover – eine Band wurde älter. Vor allem aber veränderten sich die Texte: »Ich fand es am Schluss richtig beängstigend, als ich merkte: Ich kann Sachen formulieren, die anderen Leuten unglaublich viel bedeuten«, sagte Sänger Dirk von Lowtzow damals.
Seitdem sind weitere faszinierende Alben der Band erschienen, »Pure Vernunft darf niemals siegen«, »Kapitulation«, »Schall und Wahn«, »Wie wir leben wollen«, das »Rote Album«, »Die Unendlichkeit« – Alben, bei denen sich Tocotronic immer wieder aufs Neue selbst übertroffen haben. Alben, beinahe zu schön, um wahr zu sein. Das war Musik, schwelgerisch, flirrend, raffiniert, opulent, warm, weich, verstörend, bereichernd. Ein Schatz. Musik, die wie kaum eine andere in Deutschland schließlich auch essenzielle, hintergründige Fragen stellte wie: »Du zitterst noch und hörst in dich hinein. Was könnte das Ereignis sein?«.
Das neue, inzwischen nun 13. Album trägt den Titel »Nie wieder Krieg«. Und wieder ist es ein Album zur Zeit, mit Liedern über allgemeine Verwundbarkeit, seelische Zerrissenheit und existenzielles Ausgeliefertsein, über Einsamkeit und Angst, aber auch über Träume und Liebe. Und noch einmal kann man hören: Das Politische und das Private, das gehört für Tocotronic seit jeher zusammen. Zur Liebe gehört Rebellion und Surrealismus – versus Realität. Die Band mit den besten Song-Zeilen ist wieder da. Live im Schlachthof! Den Abend eröffnet Kathi Kollmann alias Nichtseattle, die einige Tage später auch alleine in Mainz gastiert.

mp / Foto: © hr/Sebastian Schmid

Mo., 10.8., 20 Uhr, Schlachthof Wiesbaden, Murnaustraße 1, 65189 Wiesbaden, 0611/97445-124
www.schlachthof-wiesbaden.de

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