»Whiskey Tango Foxtrot« von Glenn Ficarra und John Requa

Zur Abwechslung nach Afghanistan

Der Chefredakteur hat eine Handvoll Mitarbeiter – allesamt unverheiratet und ohne Kinder – um sich versammelt und bietet ihnen einen Job an, den keiner haben will. Der TV-Sender sucht einen neuen Korrespondenten für die Berichterstattung in Afghanistan. Seit dem Einmarsch im Irak interessiert sich im Jahr 2003 kaum noch jemand für den Krieg am Hindukusch.

Die Verwunderung ist ebenso groß wie die Erleichterung, als Kim Baker (Tina Fey) sich freiwillig zum journalistischen Dienst an die Front meldet. Als graue Maus arbeitete sie bisher für die Lokalredaktion in einem fensterlosen Büro, aß am Schreibtisch in der Mittagspause den mitgebrachten Geflügelsalat aus der Tupperdose und stieg nach Feierabend im Fitnessstudio aufs Laufband, kam in ihrem Leben aber nicht vom Fleck.
Mit dem Umzug nach Kabul ist Schluss mit Alltagsroutine und Müßiggang. Im abgesicherten Apartmenthaus, in dem die westlichen Journalisten untergebracht sind, herrscht ausgelassene Studentenwohnheim-Stimmung. Auf den wilden Partys fließt der Alkohol in Strömen und wenn eine Bombe hochgeht, werden die Drinks hastig geleert, bevor sich der Reportertross mit geschulterten Kameras in Bewegung setzt. Das Verhältnis von Männern und Frauen beträgt hier 30:1, was Kim ein ungewohntes Upgrade auf dem Flirt-Markt verschafft. Aber auch als Reporterin wächst sie schnell über sich hinaus: Als sie einen Militärkonvoi begleitet, der unverhofft unter Beschuss gerät, schleicht sie sich aus dem Wagen und filmt die ballistischen Ereignisse aus nächster Nähe.
Mit dem Mut zum journalistischen Risiko stellt sich langsam ein neues Lebensgefühl ein, das nur die Gegenwart und keine belastende Vergangenheit oder Sorgen um die Zukunft zu kennen scheint. Die Frau, zu der sie im Wahnsinn des Krieges wird, gefällt Kim sehr viel besser als ihre eingefahrene Büroexistenz. Aber die Suche nach dem nächsten gefährlichen Kick setzt auch Suchtmomente frei, die zu fatalen Fehleinschätzungen führen können.
»Whiskey Tango Foxtrott« von Glenn Ficarra und John Requa versteht sich als komödiantische Milieustudie der Kriegsreporter-Szene. Eine allzu tiefgründige Reflexion über den Afghanistan-Krieg darf man hier nicht erwarten. Aber als kühner Entführungsversuch in die fremde Welt der Journalisten, die tagtäglich für ein paar Zeitungszeilen oder Nachrichtensekunden ihr Leben riskieren, funktioniert der Film ausgezeichnet. Basierend auf dem Buch der »Chicago Tribune«-Reporterin Kim Barker entwirft der Film ein schillerndes Bild der abgeschotteten Szene, die inmitten des sittenstrengen, muslimischen Landes sich eine Insel des Hedonismus ausbaut, um die beruflichen Angst- und Stresssituationen zu kompensieren.
Trotz seines gezielt eingeschränkten Blickwinkels überzeugt der Film vor allem durch seine hervorragende Ensemblearbeit. Tina Fey zeigt hier, dass sie schauspielerisch auch jenseits der Komödie einiges zu bieten hat, aber auch in den Nebenrollen überzeugen der »Hobbit«-Darsteller Martin Freeman als rüder Kriegsfotograf, Margot Robie als knallharte Reporterdiva und vor allem ein fabelhafter Christopher Abbott, der als afghanischer Mittelsmann das hysterische Treiben der Journalisten erdet und auf sehr glaubwürdige Weise die Tür zur Kultur eines kriegsversehrten Landes jenseits der Nachrichtenbilder öffnet.

Martin Schwickert
WHISKEY TANGO FOXTROT
von Glenn Ficarra und John Requa, USA 2016, 112 Min.
mit Tina Fey, Margot Robbie, Martin Freeman, Alfred Molina, Christopher Abbott, Nicholas Braun
nach dem Buch von Kim Barker
Drama
Start: 02.06.2016

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