»Yvonne, die Burgprinzessin« am Schauspiel Frankfurt

Die Geschichte der Ausgrenzung des Anderen ist buchstäblich so alt wie die Welt. Seit sich Gesellschaften eine Herrschaftsform geben, wohnt ihnen diese Regulierung inne, durch die sie sich selbst legitimieren. Die Aufspaltung der Welt in Kain und Abel, in Luzifer und dem Engel, eine unversöhnliche, unversöhnbare Dualität. Es kann auch das unfassbar Schöne sein, das in den Dreck gerissen wird, wie in so vielen Märchen.
Der polnische Schriftsteller Witold Gombrowicz (1904–1969) hat einen wahnsinnigen Roman geschrieben, »Die Besessenen« und ein Theaterstück für die Ewigkeit, »Yvonne, die Burgunderprinzessin«. Yvonne gastiert seit ihrem Erscheinen in der Theaterliteratur häufig auf den Bühnen, und es ist ein Stück, das sich in einer Inszenierung als das derzeit aktuellste überhaupt bannen ließe, denn Fremdenfeindlichkeit und die Vernichtung des Anderen oder des Unbekannten sind seine thematischen Stützen. Anzuwenden wäre es auf unzählige gesellschaftspolitische Zerrüttungen nicht nur der Jetztzeit.
Die junge slowenische Regisseurin Mateja Koležnik vermeldet, dass dies genau sie nicht will: eine Aktualisierung des Textes. Sie möchte das Stück aus seiner Sprache heraus inszenieren, aus seinem Rhythmus. Das ist zumindest erstaunlich. Was sie dazu erfunden hat, ist ein Traumgebilde, eine Sage, die sich in einer großen stilistischen Perfektion vor den Augen abspult.
Er ist von ewiger Gültigkeit, dieser Kreislauf der Macht. Und richtig: das sagt Yvonne, die Burgunderprinzessin, das sind ihre Worte, ihre einzigen fast im gesamten Stück. »Es ist immer dasselbe.« Denn sie spricht nicht. Sie spricht einfach nicht. Sie verweigert sich.
Mateja Koležniks Stilmittel ist das Perpetuum Mobile. Die Bühne (Raimund Orfeo Voigt) ist in ein fahles unbestimmtes Licht getaucht, ein riesiger Zylinder öffnet sich, die oberen zwei Drittel bleiben wie ein drohender Himmel über der Bühne hängen, die Scheibe unten ist die Spielfläche, die sich dreht, die kippt und einen Abgrund öffnet, in den die Figuren hinauf- und hinabsteigen, hinunterrutschen, die Scheibe erneut erklimmen. Die Scheibe ist eine Welt, zu der man gehören will.
Auch die Schauspieler bewegen sich ständig, und sie reden ständig. Sie sehen aus wie der Hofstaat von Pipi und Popo, direkt aus »Leonce und Lena« entsprungen. Ihre papstmützenhaften Frisuren, die weiß geschminkten Gesichter, die sich ständig bewegenden Spinnenbeine in schwarzen Strumpfhosen, die federleichten und doch tonnenhaften Tüllumhänge in grellen Buntstiftfarben! Sie wirbeln wie Derwische, trippeln sinnlos vor sich hin, Fußspitzen tippend, winden sich in die Unterwelt, kommen aus dem Unbewussten, auf der Weltenscheibe balancierend, auf allen Vieren kriechend und den größten Schwachsinn von sich gebend, vollführen Ballette, völlig mit sich selbst und der Aufrechterhaltung der Ordnung beschäftigt. Das ist meisterhaft gezeichnet. Dada und Surrealismus schweben über diesen Figuren wie die sphärenhafte Musik (Malte Preuss), die sie stimmungsvoll einhüllt. Es ist durchaus ein Quell der Erheiterung, Sarah Grunert, Peter Schröder und Christoph Pütthoff beim Staksen zuzusehen. Aber, ehrlich gesagt, dabei bleibt es auch, mehr ist da nicht.
Yvonne hingegen, die Schauspielerin Manja Kuhl, ist sehr hübsch. Mit ihrer durchaus alltagstauglichen Kleidung ist sie näher im Heute. Ihr gehört die erste Szene. Yvonne klettert aus dem Abgrund, erklimmt das Rund, rutscht ab und kullert hinunter in ihr Schicksal. Und das ist schrecklich: Yvonne ruft durch ihr Schweigen Belästigungen und Schmähungen hervor, wird zum Spiegel der seelisch bankrotten Hofgesellschaft, evoziert ihre eigene Vernichtung. Bei der sich aber niemand die Hände schmutzig machen möchte: sie erstickt an einer Gräte. Und die Welt dreht sich weiter, Perpetuum Mobile.
Die Inszenierung verharrt da ein bisschen im Nirgendwo eines Gesamtkunstwerks. Zweifellos sieht sie dabei verdammt gut aus. Aber reicht das?
Es ist ein Risiko, sich auf die Oberfläche zu verlassen, um die Gefährlichkeit von gesellschaftlichen Übereinkünften zu zeigen, die nur auf Machtansprüchen basieren. Erschrickt man, erschrickt man nicht? Der Grat zwischen Farce und Skurrilität ist schmal. Gut, nun ist es Aufgabe des Zuschauers, dies herauszufinden. Auch das ist eine Einladung!

Susanne Asal (Fotos: Birgit Hupfeld)

Termine: 10.+16.12.2021, 19.30 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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