Die Vision lebt! Happy Birthday Mitbestimmung – zum 45. Geburtstag des Kellertheaters

Das passiert, wenn man Hilmar Hoffmann ernst nimmt: Kultur für alle, dieser legendäre Slogan aus den frühen 1980er Jahren, den er als Kulturdezernent erfand und dem seither politisch stets hinterher gehechelt wird, nahm im Kellertheater einst Gestalt an, und das damals so erwartungsfroh konzipierte Mitbestimmungstheater gleich mit. Die zeitliche Kohärenz spricht Bände: 45 Jahre Jubiläum feiert die Bühne jetzt an ihrem Standort und präsentiert sich immer noch als veritabler Pfeiler dieser kulturpolitischen Vision aus einer Zeit, als die SPD noch solche hatte.
Und seine Kontur fand es sofort: Mit einem seiner ersten Repertoire-Stücke, »Der Kuss der Spinnenfrau« des Argentiniers Manuel Puig hat es sich inhaltlich auch gleich dort platziert, wo es hinwollte und immer noch will. Links, antirassistisch, menschenfreundlich. Es verhandelt »Themen, die das Menschsein ausmachen«, wie der Regisseur Tommy Steinkopff heute präzisiert.
Alles an diesem Theater ist von den Personen abhängig, die es unterhalten. Sie arbeiten ehrenamtlich, versteht sich, auch der Vorstand. Die Stadt bezahlt lediglich die Miete, damit hat es sich dann. Das Theater ist ein Werkzeug in den Händen der Leute, die es wollen. Alles andere erledigen die Mitglieder des Vereins selbst, der – Struktur muss sein – auch eine Ordnung hat: Im Vorstand übernehmen Verantwortliche Haustechnik und Licht, Finanzen, Veranstaltungsplan, Presse, Gastspiele. Wenn neue Formate entwickelt werden, wie beispielsweise »Maleen«, ein Potpourri aus Lesung, Chanson, Musik, Märchen, ursprünglich als Programm für den jeweils letzten Sonntag im Monat konzipiert, wird das besprochen und umgesetzt.
Im Kellertheater ersetzt Publikumsbindung die Hierarchien. Wer eine neue Produktion anbieten möchte, stellt sein Anliegen coram publico vor. Eingeladen dabei zu sein ist jeder, bekannt gegeben werden die Termine auf der Website, bei Facebook oder im Aushang vor der Mainstraße 2. Anschließend beginnt die Suche nach der Besetzung, die in dieser Hinsicht ständig wechselt. Keiner kann »Rechte« auf eine Rolle beanspruchen, und der Verantwortliche, der die Produktion leitet, kann auch mal eine vorläufige Probe auf die Tagesordnung setzen. »Denn wer schön vorliest, muss sich nicht unbedingt auch gut in eine Rolle einfühlen können«, sagt Daniela Vollhardt. Es bedeutet aber auch eine große Freiheit der Arbeit gegenüber, betont Tommy Steinkopff, denn wo andere ein festes Ensemble haben, für das Rollen in Stücken gefunden werden müssen, geht man hier von den Stücken aus, für das Schauspieler gefunden werden. Und wer sich für eine Rolle interessiert, weiß schon mehr oder minder, was er damit ausdrücken will, hat sich schon seine eigenen Gedanken gemacht, da sind sich die Beiden sicher. Der Produktionszeitraum ist lang, etwa ein Jahr. Mit einem halben Jahr Probenzeit muss gerechnet werden, und dann mit etwa 20 Vorstellungen bei Eigenproduktionen. Geprobt werden kann ja nur abends an zwei bis vier Tagen, die Vorstellungen finden am Wochenende statt. Und die sind gut besucht, die Auslastung ist hoch, und noch höher geworden seit Corona. Seit in den U- und S-Bahnhöfen plakatiert wird, noch einmal höher, beispielsweise in »In Sachen J. Robert Oppenheimer«.
Der offene Charakter spielt dabei gewiss eine Rolle: Hier wird nicht nur ein Stück aufgeführt, hier wird anschließend noch in der Bar mit den Beteiligten diskutiert, gelobt, gesprochen. »Wir wollen unser Publikum nicht nur gewinnen, wir wollen es auch halten, der Austausch ist ein ganz wichtiger Aspekt davon«, so Tommy Steinkopff. »Wir bringen den Austausch auf die Bühne und kommen ins Gespräch, das verstehe ich unter Theater.« Einen bewussten inhaltlichen oder zeitbezogenen Schwerpunkt formuliere man nicht, klar, alles, was auf die Bühne kommt, hat einen Zeitbezug, auch Homer, auch Shakespeare.

Vom 5. bis zum 7. September feiert das Kellertheater seinen Geburtstag mit vielen unterschiedlichen Programmpunkten. Los geht’s am Freitag um 15 Uhr mit einem Workshop für Jugendliche mit Anna-Sophie Sattler um 15 Uhr, abends ab 19.30 Uhr werden Ausschnitte aus eigenen Produktionen gezeigt. Am Samstag bietet es um 11, 12.30 und 14 Uhr eine Führung durch das frisch renovierte Theater, Lesung und Gespräch an, um 15.30 Uhr folgt ein Impro-Workshop mit Improgylcerin. Um 19.30 Uhr stellen sich die Ko-Produktionen mit ausgewählten Ausschnitten vor. Eine musikalische Matinee mit Sekt und Selters folgt am Sonntag um 11 Uhr, und um 16 Uhr beschließen junge Künstler*innen mit Musik und Lyrik in einer Ausgabe der Young Stage das Festivalprogramm. Karten und weitere Infos unter www.kellertheater-frankfurt.de

Ein weiteres Anliegen: die Stärkung der Szene. So stellt das Kellertheater sein Haus auch für Gastspiele zur Verfügung, lässt andere freie Gruppen bei sich spielen, die keine eigene Bühne haben. Etwa 70 Prozent sind Eigenproduktionen. Ein weiterer fester Programmpunkt: Workshops und Kinder- und Jugendtheater. Das Kellertheater ist Gründungsmitglied der Theaterallianz.
Um das Ensemble müssen sie sich keine Gedanken machen: »Kellertheater«, »Kellertheater«, »Berliner Ensemble«, »Im Westen nichts Neues« – listet beispielsweise Wikipedia die Stationen der beruflichen Biografie von Adrian Grünewald auf. Nicht schlecht, wenn man bedenkt: erst in den Produktionen der mit dem Kinder- und Jugendzweig des Theaters befassten Regisseurin Anna-Sophie Sattler auf der Bühne gestanden zu haben und ein paar Jahre später im Berliner Ensemble unter Oliver Reese. Und anschließend im Oscar-prämierten Film »Im Westen nichts Neues«.
»Das Theater ist ein Werkzeug in den Händen der Leute, die es wollen«. Das hört sich verdammt gut an. Wir gratulieren: Happy Birthday!

Susanne Asal / Foto: © Kellertheater

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