Prima Facie … das heißt, dem ersten Anschein nach: offensichtlich … es sieht so aus … so muss es gewesen sein. All das sind mögliche Annäherungen an eine Übersetzung des juristischen Begriffs »Prima Facie«, wie Suzie Miller ihr Stück, den Monolog einer vergewaltigten Frau, nennt. Die redegewandte und überaus erfolgreiche Strafverteidigerin Tessa steht plötzlich nicht mehr auf der Verteidigungsseite, sondern wird zur Anklägerin – in ihrem eigenen Fall. Und merkt nun, wie persönliches Erleben und juristische Beweisfähigkeit auseinanderklaffen können. Die Vergewaltigung als solche zu benennen und zu bewältigen, Schmerz, Wut und Verletzung zum Ausdruck zu bringen, das scheinbare Einvernehmen – »du hast es doch auch gewollt« – in Frage zu stellen, ist das Thema des Stücks.
Jana Saxler spielt unter der Regie von Ives Pancera diese an sich und allem zweifelnde, auch verzweifelnde Juristin, die sich doch eigentlich auskennt in den Lücken des System, auf der Weite der schwarzen minimal ausgestatteten Bühne in der Mitte des Raums des ehemaligen Titania-Kinos in Bockenheim, auf der man sich verlieren kann wie in den Weiten des juristischen Systems oder auch den Weiten der Erinnerung (Bühne:Linnan Zang). In neun erzählten Bildern – der Stimmung im gemeinsamen Büro, den Aussagen vor Gericht, der peinlichen Befragung über Einzelheiten des Tatgeschehens, folgt man konzentriert den Aussagen der Klägerin: »Ich bin als Zeugin hier, nicht als Angeklagte.« Tessa Ensler muss das im Verlauf der Befragung nach dem Tathergang richtigstellen – und dies im Gegensatz zu ihrer bisherigen Rolle als Strafverteidigerin! »Im Zweifel für den Angeklagten« hinterlässt hier einen bitteren Nachgeschmack. »Wie komme ich aus diesem Gebäude heraus« sind die letzten Gedanken der Klägerin, und: »Ich weiß nur, irgendwo, irgendwann und irgendwie muss sich irgendwas ändern…«.
Hatten wir nicht geglaubt, mit den Erfolgen der Frauenbewegung wären die strukturellen Ungleichheiten bei der Beurteilung sexualisierte Gewalt überwunden? Was das Freie Schauspiel Ensemble unter der Produktionsleitung von Bettina Kaminski uns da zeigt, regt von Neuem zum strukturellen Nachdenken an…
Freies Schauspiel Ensemble spielt »Prima Facie«