»Sanatorium zur Gänsehaut« im Schauspiel Frankfurt

Eine grelle Angelegenheit will das sein. Ein Sprechchor aus nach geläufigem Theaterstandard bizarr kostümierten (von Kathrin Plath) und perückten Figuren erzählt im Prolog die Geschichte zu einem monumental – und verschachtelt und versetzt noch einmal klein – projizierten Video einer turbulenten Bergstraßenfahrt durch eine Alpenlandschaft, die aufgrund ihrer künstlichen Farben gut von KI generiert sein könnte. Die von der im schwarzen Lackmantel aufgemachten Lotte Schubert gespielte Investigativreporterin Lio Laksch ist von ihrer Zeitung ausgesandt, in einem Sanatorium inkognito üble Machenschaften aufzudecken.
Ein »Grusical« zu schaffen haben sich der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz und der Regisseur Jan Bosse – in Frankfurt vor fünf Jahren schon ein Gespann zu »jedermann (stirbt)« – für das vom Schauspiel in Auftrag gegebene Stück »Sanatorium zur Gänsehaut. Eine Entfaltung« zum Projekt gemacht. Dr. Klotz forscht am Menschheitstraum des ewigen Lebens, ohne ethische Rücksichten natürlich. Mensch und Nacktmull will er kreuzen, und so gebärdet er sich bei Wolfram Koch – wie sollte es anders sein – im Habitus eines Frankensteins. Alert wie immer gibt Christoph Pütthoff ein – sehr österreichisch – Herr Anton genanntes Faktotum. Anna Kubin ist als handfest das Jugendversprechen einfordernde Pharmaunternehmerin mit dem Komödiennamen Hannelore Krautwurm-Bouillon ausgestattet. Die Beauty-Influencerin Leslie Mark – Anabel Möbus – hat sich ihre Haut laser-glätten lassen und ist schockiert, als sie sich im Spiegel mit einem fleischroten Gesicht konfrontiert sieht; zum Personal gehört des weiteren Torsten Flassig als ihr Mann, ein Opernsänger, der seine bei einem Flugzeugabsturz verlustig gegangene Stimme wiedererlangen will.
Weil das Sanatorium an einem See liegt und eine Abgeschiedenheit vom Weltengewese offeriert, hat der Bühnenbildner Moritz Müller in den bis an die Brandmauern aufgerissenen schwarzen Raum eine Drehbühneninsel mit einer plüschigen Sitzlandschaft und einer konzertmuschelähnlichen Kuppel gesetzt, umgeben von einem knöchelflachen Bassin, in dem sich an einer Stelle freilich gaghaft pointiert abtauchen lässt.
So schrill und opulent im Aufwand die Aufführung aufgezogen ist, die komischen Werte bleiben dürftig. Gelacht worden ist wenig in den durchgespielten gut zwei Stunden der besuchten ersten Vorstellung nach der Premiere. Damit ist viel gesagt. Hier wird ein Pflichtprogramm »Grusical« abgearbeitet, kopfgeboren, ohne spürbare Lust am Spiel mit dem Genre und seinen Konventionen. Wo auf einer Bühne eine Wasserfläche ist, muss über kurz oder lang geplantscht werden – am besten mit Momenten von Slapstick. Und wo ein Pütthoff auf der Bühne steht, bleibt eine applausträchtig sportliche Tanzeinlage nicht aus. Die Songs – Musik: Carolina Bigge und Arno Kraehahn, erstere streift mit Gitarre oder Keyboards durch die Szenen – passen ins Bild. Nicht eine Melodie, die hängenbleiben würden. Biedere Standardvertonungen, wie in einem altbackenen Ensemblekabarett. Wie ein absolviertes Pflichtprogramm wirkt auch der homoerotische Kuss zwischen der Reporterin und der rechtschaffenen Klinikeignerin Emma Tiefenbach – Melanie Straub.
Diese Inszenierung genügt sich selbst, das Publikum scheint sie nicht zu brauchen. Manches für sich hat ein im Programmheft abgedruckter Essay, in dem der retromäßige Kleinschreiber Ferdinand Schmalz wider das »bloße nochmal aufkochen des diskurses« und das »sofortistische reagieren« auf dem Theater plädiert und auf eine Hebung des Erkenntniswerts durch einen unterhaltsamen Ansatz appelliert, auf etwas an der »Schwelle zwischen Lachen und Schauder«. Mit dem einen ist es an diesem Abend so wenig weit her wie mit dem anderen. Nicht nur das Video zu Beginn könnte KI-generiert sein, auch Autor und Regie arbeiten die Dinge ab, wie es eine KI nicht weniger originell tun könnte.

Stefan Michalzik / Foto: © Thomas Aurin
Termine: 2., 3., 10., 20. Oktober, 19.30 Uhr; 12. Oktober, 18 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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