»Amrum« von Hark Bohm und Fatih Akin

Der Film über die letzten Kriegstage auf der nordfriesischen Insel Amrum basiert auf den Erinnerungen des Film-Veteranen Hark Bohm. Als Bohm sich nicht mehr in der Lage sah, die Regie zu übernehmen, hat er sie seinem Freund Fatih Akin übertragen. Akin war plötzlich in einer ungewohnten Rolle. Er hat das viel zu umfangreiche Drehbuch überarbeitet und überrascht nun mit einem einfühlsamen Drama, das die von ihm gewohnte Eindringlichkeit nicht vermissen lässt.
Der Film erzählt vom Erwachsenwerden unter außergewöhnlichen Umständen. Im Frühjahr 1945 ist die Endzeit des Zweiten Weltkriegs angebrochen. Doch statt die katastrophalen Zustände in den zerbombten deutschen Städten zu schildern, wie es seinem Naturell entsprochen hätte, führt uns Akin auf die nordfriesische Insel Amrum, wo am Frühlingsanfang Kartoffeln angepflanzt werden. Die alliierten Flugzeuge fliegen mit ihrer Bombenlast über die Köpfe der Landfrauen und helfenden Kinder hinweg in Richtung Festland. (Die männlichen Insulaner sind eingezogen, bereits tot oder in Kriegsgefangenschaft.)
Dieser Handlungsort ist dem Verfasser des ursprünglichen Drehbuchs zu verdanken. Bohm hat sich als einer der wichtigen Drehbuchautoren, Regisseure und Darsteller des Jungen deutschen Films ausgiebig mit dem Schicksal unangepasster Jugendlicher beschäftigt. Das Drama »Nordsee ist Mordsee«, das von zwei 14-jährigen Jungen berichtet, die sich aus Hamburg in Richtung Norden aufmachen, gibt gewissermaßen die Richtung des autobiografisch gefärbten Dramas »Amrum« vor.
Mit der Wahl des Schauplatzes ist Akin zudem auch den üblichen Klischees der Nazifilme ausgewichen. Auf der Insel ging es damals hauptsächlich darum, genügend Essbares zu bekommen, wenn man keine eigene Landwirtschaft besaß. Dafür zu sorgen ist eine wichtige Aufgabe für den zwölfjährigen Nanning, der von Jasper Billerbeck beeindruckend gespielt wird. (Von einem Alter Ego sollte man besser nicht sprechen, da Bohm damals gerade halb so alt wie sein Protagonist war.)
Nanning wurde mit seiner schwangeren Mutter Hille (Laura Tonke), die wie der Vater von der nationalsozialistischen Ideologie überzeugt ist, aus Hamburg evakuiert. Beide leben zusammen mit Nannings kleinem Bruder Macker (Tjard Nissen), der kleinen Schwester Mechthild (Jola Richter) und Tante Ena (Lisa Hagmeister) im Amrumer Familienhaus. Nanning stammt also aus einer alteingesessenen Familie, wird aber trotzdem von seinen Schulkameraden als »Festländer« verhöhnt.
Sein bester Freund, der gutaussehende Hermann (Kian Köppke), verteidigt ihn und ackert mit ihm auf dem Feld der regimekritischen Bäuerin Tessa Bendixen, dargestellt von Diane Kruger, die nur in der Rolle einer Nazi-Gegnerin mitwirken wollte. Sie schimpft auf den Führer, erkennt die nahende deutsche Niederlage, und als Nanning daheim fragt, wann denn der Vater endlich wieder nachhause komme, droht die fanatische Hille, Bendixen wegen »Wehrkraftzersetzung« anzuzeigen, was ihr Todesurteil hätte bedeuten können.
Als die Wehrmacht schließlich kapituliert und Hitlers Tod gemeldet wird, bringt Hille ihr viertes Kind zur Welt. Eine Welt, in der ihr der Appetit vergangen ist. Mit einer Ausnahme: Sie verlangt ein Brot aus Weizenmehl mit Butter und Honig. Dieser Wunsch stellt Nanning vor eine ganze Reihe von Abenteuern. Wie er sie zu meistern versucht, hat Akin zum Kern des Films gemacht. Er soll hier nicht erzählt werden, sondern als Anreiz dienen, sich den Film anzuschauen.
Das ist aber nicht der einzige Grund. Denn Akin ist ein sehr differenzierter Film gelungen. Er hat dem bis zum Überdruss aufgegriffenem Nazi-Thema eine weitere persönliche Perspektive hinzugefügt und so einen Jungen aus NSDAP-höriger Familie zum Sympathieträger gemacht. Dazu kommen die Naturaufnahmen, bei denen sein exzellenter neuer Kameramann Karl Walter Lindenlaub (»Independence Day«) mit den Naturgewalten der Nordsee gekämpft hat, um beim Kinopublikum für Spannung zu sorgen. Nicht zuletzt könnte der Film einen Anreiz bieten, sich mit einigen interessanten deutschen Filmen der 70er Jahre (erneut) zu beschäftigen.

Claus Wecker / Foto: © 2025 bombero international GmbH & Co. KG /
Rialto Film GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH / Gordon Timpen
>>> TRAILER
Amrum
von Hark Bohm und Fatih Akin, D 2025, 93 Min., mit Jasper Billerbeck, Kian Köppke, Laura Tonke, Lisa Hagmeister, Diane Kruger, Detlev Buck
Drama / Start: 09.10.2025

 

 

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