Selten so gelacht, doch worüber nur?
Bei Barock am Main gibt sich »Der Bürger als Edelmann«
Molières Komödie »Der Bürger als Edelmann« ist über 300 Jahre alt – und kein bisschen staubig. Jedenfalls, wenn sie in dem von Rainer Dachselt nahezu lückenlos (!) übertragenem Hessisch beim Festival »Barock am Main« im Höchster Bolongarogarten dargeboten wird. Dass dieser Molière kein Frankfurter gewesen soll, das will dem Lokalpatrioten frei nach Stoltze »net in de Kopp enei«, so authentisch, lebendisch und aufs Maul geschaut kommen die schrägen Gemeinheiten, pointierten Dialoge, derben Flüche und Schimpfkanonaden aus Molières hessischer Feder daher.
Selten so gelacht, doch worüber eigentlich? Über Herrn Jordan, den reichen Tuchhändler, der mit kindlicher Naivität und grenzenloser Wissbegierde versucht, sich Kultur und Sitten der »Hochwohlgeborenen« und »Ihro Gnaden« anzueignen? Über die fiesen Vertreter des Adels und die hochnäsigen Tanz-, Gesangs- und Fechtlehrer, die den Bürger, der gerne Edelmann wäre, schamlos ausnutzen? Oder lachen wir nicht doch – ertappt – über uns selbst, weil uns Eitelkeit, Geltungssucht und manch andere menschliche Schwäche so fremd nicht sind? Viel mehr braucht zum inhaltlichen Kern dieses Stückes nicht gesagt zu werden, die kleineren oder größeren Verwirrungen werden zur Zufriedenheit aller gelöst – außer für Jordan, der am Ende glückselig in seinem Wahn, der echte Paladin eines türkischen Sultans geworden zu sein, auf der Bühne verbleibt.
Michael Quast verkörpert diesen Träumer auf seine unwiderstehliche Art großartig und souverän, aber auch die anderen Darsteller wissen unter der Regie von Sarah Gross zu beeindrucken, einige wie Matthias Scheuring als Musiklehrer und falscher adeliger Freund, gleich in mehreren Rollen. Ganz wunderbar auch Philipp Hunscha als Geliebter von Jordans Tochter Adele, die er zu verlieren droht (»Adé Adele!»), vor allem aber als näselnder Philosophie- und Sprecherzieher Magister Schopp (Schopenhauer?). Resolut und kämpferisch legt Katerina Zemankova ihre Frau Jordan an und erhält für »Die Frauen dieser Welt verstehen mich!« sogar Szenenapplaus. Es gibt die zarte Adele (Lucie Mackert ), das schlitzohrige Jöckelsche (Sebastian Klein), die grandios überdrehte Filomena von Falkenstein (Claudia Jaccobacci), den Schneider Dauth (Alexander Beck), und Pirkko Cremers pfiffige Dienerin Nicole.
Tanzen und singen wie zu Molières Zeiten müssen sie alle allerdings auch: im Unterricht, beim Ankleiden, beim Dinieren und vor allem beim abschließenden orientalischen Mummenschanz, wenn dem überglücklichen Jordan mit großer zeremonieller Bastonade endlich ein Adelsprädikat verliehen wird (Choreographie: Katharina Wiedenhofer, Live-Musik: Capella Bolongaro). Umwerfend komisch dabei: die Lakaien Katharina Martin und Jan-Markus Diekmann. Statt der fünf multikulturellen Ballettszenen, mit denen Molière im Original seine »Ballett«-Komödie beendet, sehen wir zum Schluss einen im gar nicht mehr lächerlich wirkenden goldenen Gewand tanzenden Jordan mit Turban in seliger Derwisch-Trance. Möge er niemals aus diesem Traum erwachen!