Knapp 50 Jahre ist es her, dass John Cassavetes als Regisseur und Autor mit »Opening Night« einen Meilenstein des Independent Films schuf. Ein Kultfilm bis heute, der inzwischen fast unsichtbar ist. Kein Streaming-Dienst bietet ihn an und bei ebay & Co ist die DVD nur noch zu Liebhaberpreisen erhältlich.
Gleichwohl taucht dieser Klassiker immer mal wieder auf Theaterspielplänen auf. Was vor allem daran liegt, dass es in »Opening Night« um das unmittelbare Theatermachen und seine Akteure geht – eine ins Dramatische gestülpte Variante von Michael Frayns »Der nackte Wahnsinn«, wenn man so will. Frankfurter Theaterfans werden sich vielleicht an die Fassung von Armin Petras mit Friederike Kammer und Anne Müller (2009) erinnern.
Schlüsselfigur des mit Gena Rowlands überragend besetzten Films ist die Starschauspielerin Myrtle Gordon bei den Proben des neuen Stücks »Die zweite Frau«. Die Rolle einer mit ihrem Alter hadernden Schauspielerin namens Virginia ist ihr quasi auf den Leib geschrieben – und stürzt sie in eine das komplette Umfeld aufwirbelnde existenzielle Krise. Jede Probe wird zum Pulverfass. Myrtle brüskiert Regisseur, Produzent, Autorin und Kollegen, indem sie die Probleme ihrer Figur in Frage stellt, und verweigert sich schließlich auch den Ohrfeigen, die das Drehbuch vorschreibt. Sie wolle auf der Bühne nicht mehr geschlagen werden, sagt sie. Verstehen will und tut sie keiner.
Myrtle aber fällt im buchstäblichen Sinn aus der Rolle und läuft nach dem Unfalltod der 17-jährigen Verehrerin Nancy völlig aus dem Ruder. Sich schuldig fühlend halluziniert sie den jugendlichen Fan in einer von totaler Hingabe bis zur gewaltsamen Austreibung reichenden langen Auseinandersetzung. Ein Horrortrip, aus dem bei der sturzbesoffen bestrittenen Broadway-Premiere eine Virginia erwächst, vor der man durchaus Angst haben soll.
Regisseur Wolfgang Menardi fokussiert seine Inszenierung auf die zentralen Konflikte des Films, ohne jeden Versuch, diesen gänzlich nachzuerzählen. Das ist gut so und bringt die Darsteller gar nicht erst in die Verlegenheit, auch noch Filmstars, die Schauspieler spielende Schauspieler spielen, zu geben. Bevor Menardi aber mit allen Finessen der Haustechnik eine sich ständig wandelnde Bühne Martin Miotks von der Leine lässt, nutzt er sie für ein metaphorisches Vorspiel. Schon beim Platznehmen sehen wir im Dunkel einer Gruft einen Menschen wie erschlagen liegen, umrahmt von Kerzen und Bouquets. Ein dumpfes Dröhnen, Wortfetzen, Rufe sind zu vernehmen, während gebeugte Gestalten Blumen niederlegen. Dann erlischt das Licht im Saal und von hinter den Kulissen brandet langsam wachsender Beifall auf als sich die vermeintliche Leiche erhebt und eine grässliche Plastikmaske von der Visage reißt. Tod und Vergänglichkeit, Fiktion und Realität, Theater-im-Theater und Hannah von Peinen, die gleich Myrtle geben wird – von Beginn an ist alles schon da.
Dann aber hebt es an mit dem Stück-im-Stück und Myrtle bespielt mit ihrem ungehaltenen Kollegen Maurice (köstlich unterfordert: Vincent Doddema) die aus dem Schnürboden herabgelassene Wohnungstreppe als Virginia und Virginias Gatte – bis zum ersten Abbruch von vielen. Dass sie nichts als Schauspielerin ist und sein will, macht die Faszination ihrer Rebellion aus, die nicht allein der Altersschublade gilt, in der sie für den Rest ihrer Karriere zu landen fürchtet. Weit davon entfernt, eine kämpferische Feministin zu sein, rüttelt von Peinens geküsste, geliebte, begehrte, aber auch gern mal begrabschte Myrtle an dem auch heute noch prallen Füllhorn der Geschlechterthemen, inklusive aktueller Theaterpraxen, ohne diese plakativ zu benennen.
Fern vom rauschenden Hier-bin-ich der Film-Rowlands kehrt ihr Spiel ein selbstbewusstes, aber geerdetes Ego der Protagonistin hervor, zeigt das Verletzliche, Sensible, aber auch mit Verve das Unwillige einer Frau, die nicht anders kann. Eindrucksvoll auch der ekstatische Reigen aus Liebe, Angst und tödlichem Kampf mit dem Gespenst des toten Mädchens Nancy (Leandra Enders). Johannes Schmidt, optisch ganz auf Ben Gazarra getrimmt, weiß als der an seinem Star verzweifelnde Regisseur zu überzeugen. Iris Atzwanger legt die Autorin Sarah Goode als unbelehrbare Wiedergängerin der Golden-Girls-Ikone Dorothy an. Daniel Mutlu als einen um seine Investition bangenden tatterigen Produzenten einzusetzen, soll wohl lustig sein. Mit viel Herz und Humor brillieren dagegen Lisa Mies als Ankleidefrau Kelly und Lorenz Klee als sowas von abgeklärter Requisiteur Bobby, ein großer Spaß dem durchgängig präsenten Duo zuzuschauen, wie auch dem frischen Spiel Flora Egbonus als Regisseursgattin Dorothy.
Permanente Bilder- und Stimmungswechsel halten das knapp zweistündige pausenlose Spiel vor allem optisch in Gang, wenn die schäbige Provinzkulisse der Proben zur Arena einer flächengreifenden Kampfchoreografie und eines nicht ganz uneitlen Ohrfeigen-Potpourris, zum Andachtsraum einer Totenfeier oder zum Tempel einer spiritistischen Seance mutiert. Spruchbänder mit kryptischen Botschaften fahren bedeutungsschwer vom Bühnenhimmel herab – und wieder hoch –, selbst ein knallroter Vorhang, eine simple Glühbirne haben ihre Auftritte. Es wird viel geboten, nicht alles verstanden von dem, was da im fliegenden Rollenspiel fiktiv und was wirklich sein soll.
Sehr, sehr zögerlicher Applaus im Publikum deshalb nach dem überraschenden Show-Finale mit dem vielsagenden Hollies-Hit »The Air That I Breeze«. Nicht weil es nicht gefallen hätte, sondern weil man partout nicht sicher ist, ob es nicht doch noch weitergeht. Dann aber wohlwollender Beifall für eine Aufführung, die man gerne nochmal sehen möchte, leider aber im Oktober nur einmal gezeigt wird.
Das Staatstheater Mainz macht viel Theater um den Film »Opening Night«
