Ein armer Tropf. Gebeugter Gang, Mireille-Mathieu-Frisur, blassrosa Flauschpullover, eng anliegend. Für einen herzhaften Lacher ist dieser Depri-Typ, gleich bei der Vorführung der Figuren im Prolog gut, zumal sie als »der gefährlichste Verbrecher aller Zeiten« apostrophiert wird. Das Parabelstück »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« hat Bertolt Brecht 1941 binnen weniger Wochen im finnischen Exil geschrieben, eine Uraufführung in den USA im Blick, dem Land seines weiteren Exils, mit einem dort angesiedelten Szenario. Tatsächlich wurde es erst 1958 von Peter Palitzsch in Stuttgart auf die Bühne gebracht, zwei Jahre nach Brechts Tod. Ohne Scheu vor Gewalt und Totschlag reißt die Titelfigur, ein Gangsterboss die Kontrolle über den Karfiolhandel in Chicago an sich – Karfiol ist ein Wort italienischen Ursprungs für Blumenkohl. Brecht hat das Motiv des Aufstiegs Hitlers bis zur Machtergreifung mit Zügen der Biografie des Gangsterbosses Al Capone verschnitten. Ein Stück zur Zeit, natürlich.
Es ist ein Fest für das Theater, das Christian Weise am Frankfurter Schauspiel inszeniert hat. Scheinbar paradoxerweise präsentiert sich das weitreichend in der Gestalt eines Live-Videos; die Kulisse selbst, in der sich alles abspielt, bleibt über den größten Teil des Abends für die Zuschauer hinter einer monumentalen hellhölzernen Wand verborgen, die als Projektionsfläche dient. Die Berliner Künstlerin und Bühnenbildnerin Julia Oschatz hat eine in ihrer pointierten Deftigkeit faszinierende US-Großstadtwelt in comic-strip-artigen schwarz-weiß-graustufigen Bildern geschaffen. Und die von Josa Marx bizarr-grell kostümierten Fratzentypen entsprechen in ihrer Zeichnung dieser Comicwelt. Eine herrlich lustvolle Art, dem von Brecht geforderten Verfremdungseffekt zu entsprechen. Gerade nach der Pause, als sich auf Uis Geheiß irgendwann die Holzwand samt der Kulissen für eine Weile hebt und die Schauspieler real werden, wird die Theater-/Film-Situation auf Lacher hin angelegt immer wieder thematisiert.
Der Ui als Unhold von der lachhaften Gestalt – Christian Weise und sein fabelhafter Hauptdarsteller Christoph Bornmüller sind natürlich nicht die ersten, die das so machen. Wie etwa schon Martin Wuttke in Heiner Müllers berühmter Inszenierung 1995 am Berliner Ensemble karikiert Bornmüller Hitler – was natürlich leichtes Spiel ist, mit Lachergarantie. An sich könnte man das der Ausgelutschheit wegen zum Abwinken finden, doch hier glückt das tatsächlich originell. In einer Art von Extempore tauchen Reizworte aus dem zeitgenössischen Diskurs um Gendern & Co. auf; es fallen neurechte Phrasen der »Das wird man doch noch sagen dürfen«-Art.
Die Ästhetik dieser die Lust am Theater auskostenden Inszenierung lässt Wurzeln in der Phase des Regieduos Tom Kühnel und Robert Schuster Ende der neunziger Jahre zunächst am Schauspiel und später am Theater am Turm erkennen, zu deren kollektivdenkerischem Ensemble Christian Weise gehörte. Die Besinnung auf klassische Mittel des Theaters und das Epische Theater Brechts trifft sich mit einer popkulturellen Prägung. Besiegelt ist das im Übrigen durch die Verwendung des damaligen kollektiven Autoren-Pseudonyms Sören Voima für den eigenen Prolog. Brechts Forderung, der Zuschauer müsse sich Theater bequem in seinem Sessel zurücklehnen und seine Zigarette anzuzünden können (das allerdings zum Glück nicht), erscheint angesichts der Unterhaltsamkeit über die ganzen zweidreiviertel Stunden hinweg prächtig erfüllt.
»Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« im Schauspiel Frankfurt