Cédric Klapisch ist bekannt für unterhaltsame Filme mit einem interessanten Hintergrund. Sein Glanzstück war »L’auberge espagnole – Bacelona für ein Jahr« über das europaweite, studentische Austauschprogramm Erasmus (auch ein großer Kassenerfolg, was allerdings nicht immer ein verlässliches Zeichen für Qualität ist). Außerdem zu nennen ist sein »Der Wein und der Wind«, ein Muss für jeden Weinliebhaber. In seinem neuen Werk plädiert er s für die Beschäftigung mit der eigenen Familiengeschichte, die einen unverhofften Gewinn bringen kann.
In einem Interview gestand der Regisseur, er habe schon immer einen Kostümfilm drehen wollen, der das Paris vor 1900 in den damaligen Farben zeigt. Doch die Handlung des Films, mit dem er sich diesen Wunsch erfüllt hat, setzt in der Gegenwart ein.
In der Normandie steht ein altes Haus einem von der dortigen Gemeinde geplanten Einkaufszentrum im Wege. Es war der Wohnsitz einer zurückgezogen lebenden Frau namens Adèle, und Nachforschungen haben ergeben, dass eine weit verzweigte Familie von Verwandten, die einander nicht kennen, das Anwesen geerbt hat. Die Erbengemeinschaft beschließt also, dass vier Personen aus ihrem Kreis das Haus erst einmal anschauen sollen.
So brechen die Geschäftsfrau Céline (Julia Piaton), der Imker Guy (Vincent Macaigne), der Lehrer Abdelkrim (Zinedine Soualem) und der Fotograf und Filmer Seb (Abraham Wapler), der zu Beginn bei Modeaufnahmen in der Orangerie der Tuilerien zu sehen ist, in die Normandie auf.
Als sie sich durch den verwilderten Garten durchgekämpft haben und schließlich als erste seit 1944 die Haustür öffnen, erhalten sie und auch die Kinozuschauer den Einblick in eine untergegangene Welt. Andenken, Briefen und ganz besonders die gerahmten Fotografien an den Wänden führen zurück in die Zeit des Fin de Siècle, als jene Adèle (Suzanne Lindon) nach dem Tod der Großmutter, bei der sie aufgewachsen ist, die Normandie verlässt, um in Paris ihre Mutter zu suchen.
Diese Adèle ist die Hauptfigur des Films, und ihre Geschichte erzählt Klapisch nun parallel zur Gegenwart. Ja, er springt zwischen den beiden Erzählsträngen hin und her, wobei sich das Vergangene zum sowohl visuell prächtigeren wie auch inhaltlich wichtigeren Teil des Films entwickelt.
Schließlich geht es Klapisch und seinem Co-Autor Santiago Amigorena um die Geburt der impressionistischen Malerei, die durch die zuvor entstandene Fotografie befördert, wenn nicht erst ermöglicht wurde. Der Gegensatz von Fotografie und Malerei durchzieht den ganzen Film. So lernt Adèle bereits auf ihrer Reise nach Paris den Fotografen Lucien (Vassili Schneider) und den Maler Anatole (Paul Kircher) kennen, der seinem Freund für dessen Griff zur Kamera einen Mangel an malerischem Talent unterstellt.
Der Film enthält viele Informationen über die Entstehung des Impressionismus, der ja als die französische Kunstrichtung schlechthin betrachtet werden kann, und mit dem Augenzwinkern der Drehbuchautoren treten viele Berühmtheiten der Zeit auf. Unter ihnen Claude Monet (Olivier Gourmet), der Kunstkritiker Louis Leroy (Stéphane Foenkinos), der mit dem Begriff Monets Malstil zu diffamieren versuchte, und am Ende sogar noch der französische Nationalautor Victor Hugo (François Berléand).
Warum kann Klapisch dennoch nicht restlos überzeugen? Weil er sich zu viele Themen vorgenommen hat und allen gleichermaßen gerecht zu werden bestrebt ist. So bleibt er an der Oberfläche und bewegt sich in einer tragikfreien Zone. Er vermeidet etwa böse Worte, wenn Adèle ihre Mutter Odette (Sara Giraudeau) trfft, von der sie verlassen worden ist.
Woody Allen versetzte in »Midnight in Paris« Owen Wilsons Figur zur Mitternacht ins literarische Paris der 1920er Jahre, verzichtete auf eine plausible Erklärung und bereitete uns einen schwarzhumorigen Spaß. Das war noch ›old school‹. Dagegen folgt Klapisch dem Wohlfühl-Trend im heutigen Autorenkino.