Kuratieren ist immer auch ein bisschen wie Archäologie, und wenn die Neugier auf Neues nicht wäre, gäbe es kaum noch Überraschungen. Wie wäre es mit dieser: Juliane Betz, Neela Struck und Alexander Eiling haben jetzt Carl Schuch erneut an die Öffentlichkeit gebracht, aus dessen Scheinwerferlicht der österreichische Maler (1846–1903) fast verschwunden war, aber – es verwundert einen zu hören – auch unter eigener tätiger Mitwirkung. Berühmt zu werden war nicht seine Absicht. Wie konnte sich ein Künstler nicht um die eigene Wahrnehmung scheren, nicht um Ausstellungen, nicht um den Kunstmarkt, nicht um Absatzmöglichkeiten?
Nun, Carl Schuch konnte es. Er war vermögend genug, um sich einem lebenslangen Studium der Malerei und der von ihm verehrten Maler zu widmen, deren Oeuvre er akribisch studierte, sich an der Wiener Kunstakademie aber nur kurz ausbilden ließ und anschließend vom Landschaftsmaler Ludwig Halauska unterrichtet wurde. Er konnte es sich leisten, in den europäischen Kunst-Metropolen zu leben, durch die Museen zu streifen, sich der Malerei zu widmen, ohne jegliche finanzielle Verpflichtung. Er wollte einfach nur malen – und das so gut wie möglich. Biografisches lässt sich nur schwer aus seinen Lebensdaten herausdestillieren. War er mit Künstler*innen befreundet, schloss er sich bestimmten Kreisen an, verkehrte er in den obligatorischen Cafés, lebte er ein Künstlerleben außerhalb seines Ateliers? Man weiß nicht einmal, ob die Maler, mit denen er sich maß und die in der Schau jetzt auch gezeigt werden, überhaupt kannte: Gustave Courbet, Édouard Manet, Paul Cézanne, den Barbizon-Kreis, den er sehr verehrte. Er kannte ihre Bilder, das schien ihm genug.
Aber klar, Paris war zu seiner Zeit (1882–1894) der künstlerische Seismograph schlechthin, man entwand sich dem akademischen Stil, neue Richtungen und Interpretationen entwickelten sich, und durch die Möglichkeit, Farben in Tuben zu transportieren, erhielt die Landschaftsmalerei neues Gewicht.
Für Carl Schuch bedeutete dies, eine seiner unverwechselbaren Stärken ausleben zu können: die Lichtregie. Farbe und Licht, Raum und Komposition – das wird in seinem Werk ständig neu definiert, neu verhandelt. Nicht verhandelbar ist die Abwesenheit von Menschen in seinen Landschaftsgemälden. Ankerfunktionen übernehmen eher ein Gebäude, eine Brücke, ein Fels, die den Darstellungen ihre außergewöhnliche, haptische Impression verleihen. Manche Gemälde erstrahlen nahezu hypnotisch-dreidimensional, wie beispielsweise seine Landschaftsbilder u.a. die »Felsklippe bei der Campagna« oder »Waldinneres beim Saut du Doubs« von 1886, die mit grobem Strich gemalt sind, oder auch seine Jagdbilder im vorletzten Raum.
Die Virtuosität seiner malerischen Techniken dabei ist ganz enorm. Und vielleicht zeigt sie sich am auffälligsten in seinen Vanitas-Gemälden aus seiner Venezianer Zeit (1876–1882), die der barocken Erzähltradition entnommen sind: der Tod ist stets präsent. Nahezu mit dem Dunkel des Hintergrunds verschmelzende Schädel ruhen auf einem Tisch, der eigentlich ein Stillleben zeigt, prachtvoll und kostbar glänzendes Zinn, Trauben wie frisch poliert, Äpfel wie von einem Lichtstrahl getroffen – eine Maltradition wie aus dem 18. Jahrhundert.
Das Bühnenhafte, das Ausgestellte zieht sich wie ein roter Faden durch seine Arbeiten, nichts wirkt intim. Stets darum bemüht, Farben sprechen zu lassen, mischt er, von Manets berühmtem »Spargelbündel« angeregt, einen Hauch Orange in das Weiß seiner Version des königlichen Gemüses.
Manet übrigens verehrte er ganz besonders, seine »Blumen in einer Kristallvase« von 1882, die auch das Plakat des Städel in einem Vexierspiel mit einem Blumenbild von Carl Schuch schmückt, liebte er.
Und so reflektiert diese Ausstellungsarchitektur auch die historischen Bezüge seiner Malerei. Unbedingt wiederzuentdecken, dieses Rätsel.
Ein Mann, ein Rätsel – »Carl Schuch und Frankreich« im Städel