Einfach klug: »So langsam, so leise« am Kammerspiel Frankfurt

Für die zweite Spielzeiteröffnung hat sich das Schauspiel Frankfurt die junge, bereits mit Preisen überhäufte Regisseurin Luise Voigt und ihren Autoren Björn CD Deigner mit einer Uraufführung ins Kammerspiel geholt. »So langsam, so leise« ist eine Endzeitparabel und verwebt sehr poetisch tatsächliche Endzeiten miteinander, als da sind: die der durch die Klimakatastrophe geschändete Natur einerseits und die endliche Zeit eines bereits an Demenz erkrankten Mannes andererseits, der den Besuch seiner Tochter empfängt. Und auch hier: Endzeit einer Beziehung.
Auf den ersten Blick sieht man auf der Bühne (Maria Strauch) ein ganz normales Zimmer, ein bisschen schräg vielleicht durch die sich verjüngende Perspektive, mit einer zifferblattlosen Uhr, die tatsächlich aber tickt. An der Jalousie irisierende Regentropfen, die aber auch ein Schriftbild sein könnten, stetes Dämmerlicht. Bis man das in allen Zimmerecken wuchernde grüne Geflecht wahrnimmt, einen übermoosten Stein mitten im Zimmer, eine sacht unheimliche Konstellation. Und dann wie aus dem Nichts: Auftritt »so etwas wie Regen«. Nina Wolf trägt einen riesigen pilzkopfförmigen Hut aus kostbar drapierten Wolkenstores, von dem Schnüre schimmernder glitzernder Kristallperlen auf den Boden rinnen und fließen. Aber nicht lange: wie ein Derwisch kreist sie über die Bühne, lässt die Schnüre flattern und schweben. Sie wird später mit ihrer spielerischen Präsenz eine bestimmende Rolle einnehmen: die der Erzählerin, der Kommentatorin und auch die Dialoge und inneren Monologe der Tochter zwillingshaft tänzerisch und pantomimisch begleiten, deuten. Doch zunächst einmal: Ist sie als Erste da.
Als Zweite betritt die Tochter (Amelle Schwerk) den Raum, genervt vom ständig strömenden Regen. Der ist schuld an der Misere, unablässig strömt er hinab auf die Erde, und dass sie jetzt ihren Vater besuchen muss, der seine Haushälterin in die Flucht geschlagen hat, ehrlich, das ist zuviel. Alles droht zu kippen, inklusive des vom Vater eigenhändig gebauten (Eltern-)Hauses. Leider hat er es eigenbrötlerischerweise einsam an einen Hang gelehnt, der jetzt abzurutschen und das Haus zu verschütten droht. Sie ist genervt, verärgert, macht sich an der Spüle zu schaffen, der ihr Platz auf der Bühne sein wird, und man spürt sofort ihre Beladenheit, die sich über die Jahrzehnte einer ungleichgewichtigen Beziehung aufgestockt hat, die ungesagten Worte, die Ungehaltenheit über die Zickigkeiten, die sich ihr Vater geleistet hat und noch leisten wird und welche die aufkommende Demenz nicht abmildern wird, ganz im Gegenteil. Der Vater (Matthias Redlhammer), der herrlich surreal rückwärts stolpernd in das Bild einbricht, hat eine erfolgreiche universitäre Laufbahn hinter sich und will seine Forschungen mit einer letzten Veröffentlichung über Donaukulturen krönen. Auch seine Tochter ist Wissenschaftlerin, Physikerin, sie verkörpern die beiden Pole eines einzigen Forschungsgegenstands: die Erde: Natur und die Konstruktionen der Zivilisation, die die Natur domestizieren, ausbeuten, untertan machen.
Doch wo der Vater sich seine Meriten verdient hat, tut es die Tochter nicht, es gibt kein Geld mehr für ihr Forschungsprojekt, und die Zeit rinnt dahin, und nun hat sie es auch noch mit ihrem herrschsüchtigen Vater zu tun. Sein Lebenshorizont verengt sich, während der seiner Tochter noch nie die Chance hatte, sich richtig zu entfalten.
Und hier bricht die sich wehrende Natur mit einer trotzigen Wahrhaftigkeit vehement ins Spiel ein, ein Spiel voller symbolhafter Zeichen und Andeutungen. Regen und Hund als Verkörperungen der Schöpfung, von den Zivilisationen über Jahrtausende hinweg bekämpft, vernichtet, domestiziert, begehren jetzt auf, entäußern sich. Der Hund ist bei Luise Voigt eher ein tanzender Yeti (Tanz: Max Masahiro Levy, Stimme: Melanie Straub, Choreografie: Minako Seki), ein Wesen halb Mensch halb Tier, der Regen eben, dieses flirrende koboldhafte Wolkenwesen. Voigt überführt diese thematische surreale Setzung in einen expressionistischen Bilderrahmen aus Tönen, Klangfolgen, Spiegelungen und Filmen (Nicolas Haumann), nie aufdringlich, nie fordernd, sondern behutsam und klug. Mit diesem Bildervorrat füllt sie Leerstellen im Text, knüpft neue Beziehungsfäden, beispielsweise mit den dröhnenden Schritten des Vaters, die auf einem Video eingespielt werden, drohend fast, gleichmäßig, laut. Schritte, wie sie sich der Tochter eingeprägt haben mögen, als sie noch ein kleines Mädchen war.
Die Kunstfertigkeit dieses Rahmens erlaubt es den Schauspieler*innen – allesamt schlichtweg vorzüglich – ihr Spiel so realistisch zu halten wie nur möglich. Matthias Redlhammer gelingt sensibel und einfühlsam die Balance zwischen autoritär-narzisstischem Gehabe und dem Erschrecken vor der Erkenntnis, ins mentale Nichts abzugleiten. Amelle Schwerk als Tochter Karen ist dramatisch, komisch und traurig zugleich, mit Arg in die Zukunft blickend, die losgelöst sein soll, frei und wild. Vielleicht wie die des Hundes?
Hier werden ja wirklich die Konfliktstellen benannt, mit denen die heutige Gesellschaft im Übermaß konfrontiert ist: Umweltkatastrophen, Demenz der Eltern, bedrohte Karrieren der Jungen. Damit sich das Stück aber nicht zu einem zugegebenermaßen poetischen Zeitungskommentar entwickelt, dessen Lektüre schon bald ermüdet, weil man den Inhalt doch schon längst weiß, hat Luise Voigt einen sanften Schauer voller verfremdender Regie-Ideen über den Text rieseln lassen, so dass man aufgewacht und irritiert aus der Inszenierung kommt. Die Natur, die Erde werden überleben, sagt sie uns, wer nicht überleben wird, sind d-ie Menschen, ist die Zivilisation. So wie die Tochter mit dem ungebärdigen Lauf des Hundes nicht Schritt halten kann. Gedankenstoff pur.

Susanne Asal / Foto: © Jessica Schäfer
Termine:
12. Oktober, 18 Uhr
17. Oktober, 20 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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