Weit weg von Travolta
Oh ja, es steht schlecht um Mighty America, als in den 70ern das Öl rationiert werden muss und sich der Farbenverkäufer Tony Manero in Brooklyn fragt, ob er zeitlebens Farbenverkäufer bleiben oder lieber sein Geld als Tänzer verdienen will. »Fuck the future«, sagt Tony zum mahnenden Chef, »the future fucks you«, tönt der zurück. Leicht zu raten, dass beide Recht behalten. Ryan McBryans Inszenierung von »Saturday Night Fever« am English Theatre Frankfurt lässt keinen Zweifel daran, dass der Italo-Amerikaner ein Kind seiner Zeit und seines tristen Viertels ist. Nix da mit Flowerpower im prolligen Brooklyn! Für Hippies gibt es hier – wie für Schwule oder Latinos – allenfalls eins auf die Zwölf.
Jimmy Carter appelliert an das Volk, während Bilder von Demos und Kriegseinsätzen über die Rückwände flirren und vorn auf der Bühne die Schauspieler unter dem Webeslogan »Enjoy« um eine Zuteilung Öl anstehen. Die ersten Akkorde von »Stayin’ Alive« schlagen an, es geht ums Überleben. Der Mega-Hit der Bee Gees springt nicht sofort ins Ohr, sondern wird von Tony-Darsteller Chris Cowley zögernd, unplugged, akustisch mit der Gitarre intoniert und gesungen. Und schon ist klar, dass es im English Theatre etwas ganz Eigenes und kein nachgespieltes Travolta-Trallala für Oberschüler zu sehen gibt. Von 17 ausgewiesenen Alleskönnern aus britischen Musical-Schulen, die singen, spielen, tanzen und Instrumente beherrschen – Actor-Musicians.
Trotz seiner ernsten Konnotationen bleibt »Saturday Night Fever« ein Volldampfspektakel, das musikalisch und choreografisch (Darragh O’Leary) vor ständig wechselnden Kulissen immer wieder von den Sitzen reißt. Aus dem Ensemble ragen an Cowleys Seite Naomi Slights als seine phantastisch tanzende, doch snobistische Traumpartnerin Stephanie und vor allem die atemberaubende Sally Peerless als Tänzerin, Saxophonistin und Hingucker hervor. Und singen kann sie auch. Paul Syrstad hat als der junge verzweifelnde Bobby mit »Tragedy« eine ganz große Szene, bevor er vom Dach springt. Devon-Elise Johnson, die hier in »Spring Awakening« die Wendla gab, rührt als Tonys abgeschobener Vorstadtbeziehung Annette zu Tränen, bevor ihr übel mitgespielt wird. Wenn es überhaupt etwas zu monieren gibt, dann sind es die recht angestaubten amerikanischen Familien-Konflikte Tonys mit seinen verbohrten Eltern und seinem Bruder, der den Priesterdienst quittierte. Man kann sie zum Durchatmen nutzen an einem unschlagbaren Abend. Von Standing Ovations kann keine Rede sein, wenn die Meute tobt.