Falsche Zaren in der Oper Frankfurt

Modest Mussorgski hat mit seinem, wie er es nannte, »musikalischen Volksdrama« Boris Godunow bereits in der Urfassung von 1869 für erhebliche Unruhe gesorgt. Erzählt sie doch, frei nach einer Vorlage des Dichters Alexander Puschkin, die Geschichte des Zaren Godunow, der nach der Ermordung seines Vorgängers Dimitri an die Macht über das gebeutelte russische Volk kam. Ein chronikschreibender Mönch namens Pimen verbreitet, dass Godunow der Mörder sei, was einen gewissen Grigori dazu verleitet, sich als dem Attentat entkommener Dimitri auszugeben und wiederum Anspruch auf den Thron Godunows zu erheben. Boris Godunow plagt sein schlechtes Gewissen soweit, dass er dem Wahnsinn verfällt. Der »falsche Dimitri« wird zum Zaren gekrönt – und vom Volk gefeiert.
Mussorgski hat mit sich und der Umsetzung des gewaltigen Dramas immer wieder gerungen, so dass zwar eine erste Fassung im Jahr 1874 über die Bühne des Mariinski-Theaters in St. Petersburg ging, die ihn allerdings nicht befriedigte. Den psychologischen Verfall des Boris hat er in einer geradezu kühnen, damals (und heute noch) neuartigen Tonsprache geschildert – jedoch die Rolle des geschundenen Volkes kam ihm zu kurz. Er hat ihm in einer zweiten Fassung eine Revolutionsszene samt »Gottesnarr« hinzugefügt, die in ihrer Eindringlichkeit ebenso fesselt wie der Schluss, wenn das Volk einem falschen Zaren unterwürfig zujubelt.
Vieles blieb, wohl auch wegen des Komponisten Trunksucht, in Skizzen oder uninstrumentiert halb fertig. Nikolai Rimski-Korsakoff (als Mitglied des sog. Mächtigen Häufleins um Komponisten wie Borodin oder Balakirew eher einer gemäßigt »russischen« Klangwelt verpflichtet) fertigte zwei deshalb doch eher geschmäcklerische Bearbeitungen an, denen Dimitri Schostakowitsch um 1939 eine einfühlsame Orchestrierung entgegensetzte, die sich mit dem musikalischen Duktus Mussorgskis messen darf. Diese Orchestrierung liegt der Frankfurter Inszenierung (Keith Warner) zugrunde.
Inhaltlich gäbe es noch viel zu erzählen (die besondere Rolle einer Wojwodentochter aus Polen, die Bezüge zur russischen Kirchenmusik etwa) – mit dieser Oper ist wahrhaft »Geschichte geschrieben worden« (Ankündigung Oper Frankfurt). Und: in Zeiten wie diesen, ist »Boris Godunow« wie ein Fanal gegen Unterdrückung und Morden, wie sie von Usurpatoren wie Putin seit Jahren betrieben werden.
Der vielfach gefeierte GMD der Oper Frankfurt, Thomas Guggeis, wird sich mit dem Chor, vielen großartigen Sänger*innen des Hauses mit diesem gewaltigen musikalischen Monolithen auseinandersetzen.

Bernd Havenstein
Foto: »Boris Godunow« in der Oper Frankfurt:
Alexander Tsymbalyuk (Boris Godunow; kniend)
und Michael McCown (Gottesnarr; liegend)
© Barbara Aumüller
Termine: 2.11. (17 Uhr) Premiere, 6., 8., 14., 21., 23. und 26.11.25
Tickets. 069/212-49494 oder www.oper-frankfurt.de

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