Gnadenlose Leere – »Bitter Gold« von Juan Olea

Die Atacama im Norden Chiles ist die trockenste Wüste der Welt, und bei Gott, in diesem Film spürt man, was endloser Sand, Staub und Hitze mit Menschen macht, die da eigentlich nicht hingehören. So weit das Auge reicht, nichts anderes in Sicht. Höchstens Kreuzungen von staubigen Straßen, an denen Tagelöhner auf einen Pick-Up warten, der sie zur Arbeit in einer der illegalen Minen holt. Ein paar Stromleitungen, Behausungen aus abgewrackten Bussen, die Eingänge zu aufgelassenen unergiebigen Minen, wie zum Hohn mit dem Wort »Peligro« – Gefahr – markiert. Die Männer in dieser abweisenden Erhabenheit vollbringen ihr destruktives Werk; mit Schaufeln und mit Dynamit rauben sie die verborgenen Schätze unter Sand und Felsen. Die Aussichten auf ein besseres Leben sind eher schlecht. Gerade deswegen misstraut jeder jedem. Schließlich gibt es hier draußen so gut wie kein Gesetz, nur Stärke zählt.

Und so karg wie die Landschaft ist die Geschichte, die »Bitter Gold« erzählt. Eine der Minen wird von Pacifico betrieben. Der ist hart genug für diesen Job, aber nicht mehr der Jüngste. Später erfahren wir beiläufig, dass er eine Zeit im Gefängnis verbracht hat. Dort will er auf keinen Fall mehr hin. Bald, so verspricht er seiner Tochter Carola, so um die 16 Jahre alt, werden sie diesen trostlosen Ort verlassen können, und sie wird ihre beiden Träume wahr machen können. Eine Schule besuchen. Und ans Meer kommen.
Pacifico hat ein Geheimnis. Neben der Kupfermine, die er mit seinen Arbeitern ausbeutet, hat er in einem alten Stollen Gold gefunden. Aber einer von den Arbeitern, den er gerade wegen seinem Suff und seiner Aggressivität davon gejagt hat, folgt Pacifico und Carola in die Goldmine und droht sie umzubringen. Das kostet ihn selbst das Leben, aber Pacifico trägt eine Kugel im Bein davon. Nun müssen sie die Leiche und andere Spuren verschwinden lassen, und Carola muss die Rolle des Vaters als Autorität übernehmen, zugleich dafür sorgen, dass die Arbeit irgendwie weiter geht und niemand entdeckt, was geschehen ist. Das wird zunehmend schwieriger, die Leute glauben immer weniger an Pacificos baldige Rückkehr, und dessen Zustand verschlimmert sich. Verwandte des Getöteten tauchen auf und wittern ihre Chance. Carola wehrt sich mit dem Mut der Verzweiflung. Aber schließlich bleibt ihr doch nichts anderes übrig. Sie muss Pacifico in die Stadt und ins Krankenhaus bringen. Dort stirbt er. Die Ärztin meint, man werde sich um sie kümmern. Hier könnte die Geschichte enden. So traurig, so normal. Aber Carola entkommt und kehrt noch einmal zurück. Was dann geschieht ist nicht gerade ein Happy End. Aber ein grandioser Aufbruch in ein anderes Leben. Vielleicht.
Juan Francisco Olea erzählt diese Geschichte in beinhartem Realismus, ohne jede Abschweifung, ohne jedes Füllmaterial. Wir sind stets bei den beiden Hauptpersonen, Vater und Tochter, bis in die Fleischwunde, die Schweißperlen, die Momente der Hoffnung und die der Verzweiflung. Das hier ist ein existentielles Drama, eine Geschichte vom Ende der Welt. Aber darüber darf man nicht vergessen, dass es diese Wüste, dass es die illegalen Minen und die mörderische Arbeit, dass es das Elend, das die Leute unter die Erde treibt, wirklich gibt. Man hat »Bitter Gold« einen »Neo-Western« genannt, was insofern stimmig ist, als er an einer Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation spielt und unter Menschen, die jenseits einer »bürgerlichen Gesellschaft« leben. Freiwillig oder nicht. Vor allem aber ist es die Geschichte einer jungen Frau in einer Männerwelt. Und das ist die Wendung für einen nihilistisch-brutalen und zukunftslosen Ort. Wie in einem klassischen Western kann man hinter einer sehr individuellen Geschichte auch den großen Mythos sehen. Carola rettet sich. Und vielleicht die Welt.
Das realistische Setting und die allegorische Handlung sind so vollständig miteinander verbunden, wie das nur im Kino möglich ist. Das verlangt den Schauspielern eine unglaubliche körperliche Präsenz ab, vor allem natürlich Francisco Melo als Pacifico und Katalina Sánchez als Carola – da beginnt, wenn ich mich nicht irre, eine Karriere im Weltkino. Auf jeden Fall ist »Bitter Gold« ein Beleg dafür, dass die Geschichte des realistischen Menschen-Films noch lange nicht zu Ende ist.

Georg Seeßlen / Fotos: © jip film & verleih
>>> TRAILER
Bitter Gold
von Juan Olea, RCH/MEX/D 2024, 83 Min.
mit Katalina Sánchez, Francisco Melo, Michael Silva, Daniel Antivilo, Moisés Angulo, Carlos Donoso
Neo-Western
Start: 21.08.2025

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