In Elendsquartieren und Palästen
Katharina von Arx wird 1928 in eine reiche Fabrikantenfamilie geboren. Ihr Vater, Besitzer einer Filzfabrik, bekommt in den folgenden Jahren aber die Auswirkungen des Börsencrashs von 1929 zu spüren. Er setzt sich deshalb nach London ab. Die fünfjährige Katharina und ihr älterer Bruder wachsen zeitweise bei Schweizer Verwandten auf und leben danach in eher bescheidenen Verhältnissen.
Ein bisschen schrullig ist sie geblieben, auch mit fünfundzwanzig Jahren noch. Die junge Schweizerin, die in Wien Kunst studiert, fühlt, wie sie sagt, in sich eine Wehmut und ein Fernweh, »die ganz einfach den Fernmut ergeben«. Das heißt: Sie packt eine Jacke ein, zwei Kleider, ein paar lange schwarze Hosen, einen Tropenhut, eine Ukulele und ein paar Stifte zum Malen »in ein Säcklein, das man unter dem Arm tragen kann«. Sie hat wenig Geld, aber einige Empfehlungsschreiben von einflussreichen Menschen. Durch Österreich und Italien kommt sie als Anhalterin relativ mühelos. Mal in einem Abschleppauto, einem Fischtransporter, einer alten Klapperkiste, ab und an auch in einem schnellen Flitzer. Von Genua aus nimmt sie ein Schiff nach Indien. Ihr erster Eindruck von diesem »Wunderland«, noch von der Reling aus, ist Enttäuschung: »Wo so viel Menschliches krabbelt, ist doch kein Wunderland.« Als junge, unerfahrene weiße Frau lernt sie schnell viele Menschen kennen. Doch von vielen Männern wird sie wie Freiwild behandelt. Oft muss sie sich ihrer Aufdringlichkeiten erwehren. Sie beschreibt es mit Humor und oft recht lapidar. »Er rückte mit vielen Umschweifen näher, … ich aber wurde unmerklich schlanker«. Nichts Böses denkt sie sich dabei, als sie von einem Mann ins Kino eingeladen wird und plötzlich mit ihm in einem Separee landet. Als sie diesen Ort fluchtartig verlässt, sich dabei vermutlich erst freikämpfen musste, fällt Mr. Singania »mit großem Gepolter vom Stuhle. Glücklicherweise schoss man gerade auch auf der Leinwand«. Ein anderes Mal erklärt sie einigen äußerst aufdringlichen Indern ihre Blässe mit einer ansteckenden Cholera. Fluchtartig suchen die Männer das Weite. Als sie einen Tempel besichtigen will, stehen plötzlich einige Jünglinge hinter ihr. »Ich ging weiter, … da standen dreißig Jüngling hinter mir … Ich ging schneller, … da rauschte hinter mir eine raue Menge von Männern, Männer in allen Größen und Farben.« Als sie stehen bleibt, wird sie umringt. Ein Mann rettet sie, indem er sie in einer Baracke einschließt, bis die Polizei kommt und sie in ihr Quartier begleitet. Diese junge Katharina ist eine unerschrockene, für alles Fremde offene Frau. Die Beschreibungen ihrer Begegnungen mit Menschen sind voller Humor und Ironie. Wobei ihre Naivität oft erstaunliche Ausmaße annimmt. Auch das Verhältnis zwischen Wirklichkeit und Fiktion bleibt offen und vieles in der Schwebe, manches wird nur angetippt. Der Leser kann sich seinen Teil denken. Sie arbeitet mit solchen Mitteln, wohl auch, um Spannung zu erzeugen, was ihr durchaus gelingt. Auf ihren Reisen lernt sie Menschen aus allen Schichten kennen, sie lebt in Elendsquartieren und Palästen. Ständig auf der Suche nach Geld, um den nächsten Flug, die nächste Schiffspassage zu finanzieren. Sie malt Bilder und versucht sie zu verkaufen. Etliche Interessenten nehmen Bilder mit, um sie angeblich Kaufwilligen zu zeigen. Die Bilder wie die Menschen sieht sie oft nie wieder. Trotz vieler übler Erfahrungen erhält sie sich ihre Unbefangenheit, bleibt vertrauensselig, wissbegierig, unerschrocken. Sie meint, »ich bin doch ein harmloser Mensch, was kann mir schon geschehen?«. Um Geld für die Weiterfahrt nach Japan zu bekommen, ist sie bereit, »Kinder, Hunde, Pferde oder Matrosen zu hüten«. Schließlich nimmt man sie als nicht zahlende Passagierin mit. Dafür spielt sie an Bord Ukulele, malt Bilder und streicht sogar das Schiffsgeländer. Für die groß gewachsene Katharina ist Japan ein ganz besonderes Erlebnis. Mein Dienstmädchen »lispelt unaufhörlich, krümmt sich drei-oder viermal, zieht einem die Schuhe von den Füßen und steckt Pantoffel dran, … aber gleich danach liegt man am Boden, der ist nämlich lackiert«. Man steht also wieder auf, »lehnt sich vor Schreck an die Wand, die Wand stürzt ein, und man liegt im Garten«. In Tokio schafft es »die große, weiße Frau in Hosen« in die »Nippon Times«. Ihre Geschichte verschafft ihr ein Ticket nach San Francisco. Sie will weg, »ich glaube, ihr ewiges Lächeln ist mir auf die Nerven gegangen«. In Kalifornien stürzt man sich auf die »Hitchhiking Swiss Miss«. Schon damals liebte man solche ›stories‹. Im Fernsehen werden ihre Abenteuer noch weiter dramatisiert: »Warst du im Harem«, »bist du verschleppt worden«, »wie viele Heiratsanträge hast du bekommen«? Ihre lapidare Antwort: »Ich habe sie nicht gezählt, sie waren ohnehin alle von schlechter Qualität.« Für den Artikel in der »Los Angeles Times«, »Schweizer Mädchen in Los Angeles gestrandet« und einen Fernsehauftritt erhält sie ein Ticket nach New York. Dort wird ihre Geschichte in einen Reklamespott für Kleider »aus knitterfreiem Waschtweed« eingebettet. Sie wirbt auch für Perlen für die »Pearl Company in Chicago«. Irgendwann ist ihre Reise zu Ende. Den Zeitpunkt lässt sie offen. Nach Zürich zurückgekehrt, sieht sie aber neue Häuser »und der Tabakladen am Kreuzplatz war umgebaut« und sie selber staunt, »wie lange ich weg gewesen war!« Diese Reisebeschreibung weicht etwas ab von den üblichen Reportagen. Auch weil Frau von Arx sich hauptsächlich für die Menschen und ihre Geschichten interessiert. Sie war ein »Globetrotter«. Sie hatte zwar wenig Geld, aber viel Zeit. Von irgendwelchen Sehenswürdigkeiten berichtet sie kaum. Das war nicht ihr Interesse. Und unseres hat sie auch so geweckt.