»Lolita lesen in Teheran« von Eran Riklis

In dieser Filmadaption des autobiografischen Romanbestsellers von Azar Nafisi verkörpert die iranisch-französische Schauspielerin Golshifteh Farahani eine Literaturdozentin, die in Teheran einen geheimen Lesezirkel gründet und mit ihren Studentinnen verbotene Literatur liest.

1979, nach dem Sturz des Shah, ziehen Azar und ihr Mann Bijan aus den USA zurück in ihre iranische Heimat. Schon am Flughafen, wo bärtige Zollbeamte die junge Literaturdozentin grundlos anherrschen, zeichnet sich ab, dass unter der neuen revolutionären Regierung die Lage nicht besser wird. Azar, die an der Teheraner Universität englische Literatur unterrichtet, erlebt in ihrem Seminar in Gestalt junger Islamisten, die westliche Romane als lasterhaft brandmarken und Mitstudentinnen denunzieren, hautnah den Druck der sich radikalisierenden Klerikaldiktatur. Während das Land mit Plakaten, auf denen Khomeini wie ein diabolischer »Big Brother« aufs Volk starrt, zugepflastert wird, steigt die Repression. Einige ihrer Studentinnen werden ins Evin-Gefängnis geworfen, vergewaltigt und ermordet. Azar selbst wird suspendiert, weil sie sich weigert den Hijab zu tragen. 1995 gründet sie mit sieben Studentinnen einen geheimen Literaturzirkel, in dem die Frauen wöchentlich verbotene Literaturklassiker angelsächsischer Provenienz lesen und diskutieren.
Die Filmadaption von Azar Nasiris autobiografischem Roman hält sich eng an die Vorlage. Unterteilt in vier nach Romanen benannten Kapiteln spannt das Drama den Bogen von 1979 bis ins zweite Jahrtausend. Wie Marjane Satrapis autobiografischer Animationsfilm »Persepolis« ist auch dieser Bericht durchzogen vom Schockgefühl der Erzählerin angesichts des offenen Sadismus und der rachsüchtigen Brutalität, mit der Islamisten Frauen behandeln. Doch wo oberflächlich betrachtet der Kontrast zwischen der Realität mit ihrer entfesselten Barbarei und schöngeistiger Fiktion nicht größer sein könnte, entdecken die Leserinnen unerwartet Analogien. Alle bringen eigene Erfahrungen mit in diesen gemütlichen Fluchtort, wo sie bei Tee und Gebäck über Literatur und auch ihr eigenes Leben beratschlagen. Wenn es etwa um Vladimir Nabokovs Roman »Lolita« geht, in dem ein älterer Mann eine Zwölfjährige zu seiner Geliebten macht, kommen sie zur beklemmenden Einsicht »alles was wir tun, wird von geilen alten Männern bestimmt«. Anders als die kleine Lolita aber, gibt Azar zu bedenken, haben Frauen Möglichkeiten, sich zu wehren. Und was haben die heiratswilligen Bennett-Schwestern in Jane Austens »Stolz und Vorurteil« mit den Geschlechterbeziehungen im heutigen Iran zu tun? Was ist der Unterschied zwischen Erotik, Sex, und Liebe?
Vermittels dieser Wechselwirkung wird nicht nur in Einzelschicksalen die Situation von Frauen im Iran deutlich. Es zeigt sich, dass Literatur nicht allein eskapistisch ist, sondern subversive Wirkung hat, Erkenntnis vermittelt, zur Tat drängt. Azars Bücherfreund, mit dem sie verbotene Literatur austauscht, hat angesichts der Zustände resigniert und »will in Frieden leben«. Sie aber, als Frau und Mutter viel stärker betroffen, hat Angst davor, »sich an dieses Leben zu gewöhnen«. Und fragt sich »Will ich, dass meine Töchter so aufwachsen?«. So zeigt dieser Film einerseits warnend auf, wie dünn der Firnis der Zivilisation ist und endet doch mit einer hoffnungsvollen Note.

Birgit Roschy / Foto: © Eitan Riklis
>>> TRAILER
Lolita lesen in Teheran (Reading Lolita in Tehran)
von Eran Riklis, I/IL 2025, 108 Min.
mit Golshifteh Farahani, Zar Amir Ebrahimi, Mina Kavani, Reza Diako, Arash Marandi, Catayoune Ahmadi
Drama
Start: 20.11.2025

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