Am 27. Dezember jährt sich Michel Piccolis Geburtstag zum hundertsten Mal. Dazu passend ist im letzten Jahr endlich die deutsche Ausgabe seiner Erinnerungen erschienen. Gilles Jacob, ein Filmkritiker und ehemaliger Direktor der Filmfestspiele von Cannes, hat seinen Freund rechtzeitig vor dessen Tod am 12. Mai 2020 zu diesem Rückblick ermuntert.
Da beide über vierzig Jahre lang in einem originellen Briefwechsel standen, ist auch dieses erstaunlich unprätentiöse und sehr unterhaltsame, schmale Buch in Dialogform gehalten. (Ein paar Faksimiles der einstigen Briefe sind mit deutscher Übersetzung beigefügt.)
Auf Jacobs umfangreiche Fragen gibt der berühmte Schauspieler in fünf Kapiteln Einblicke in seine Kindheit, seine Lehrjahre im Theater, seine Filmarbeit, seine Auffassung über den Beruf des Schauspielers und über das Älterwerden.
Dafür, dass er gegen Ende klagt, ihm lasse sein Gedächtnis im Stich, kann er sich doch an vieles erinnern. Etwa an die mangelhafte Zuwendung seiner Mutter, die den kleinen Michel als Ersatz für seinen früh verstorbenen älteren Bruder ansah. Sein Vater war ein Violinist, seine Mutter eine Pianistin. Dass sie beide ihren Beruf ohne Begeisterung ausübten, mag bei ihm zu einer Gegenreaktion geführt haben. Vor allem mit dem Vorbild des ebenfalls musikalischen Onkels nahm er zum Kriegsende Schauspiel-Unterricht und klapperte die kleinen Pariser Theater ab, um eine Rolle zu bekommen.
Er habe immer das Glück gehabt, gerne zu arbeiten. »Die Arbeit, das war das Leben selbst«, schreibt er. Bald entwickelt er auch seinen Stil: »Man muss unablässig von Neuem anfangen, einen neuen Ausgangspunkt wählen, suchen, versuchen, es anders zu machen, und vor allem … muss man alles tun, um nicht großartig und prätentiös zu wirken.« Stattdessen sei er immer darauf bedacht gewesen, den Intentionen des jeweiligen Regisseurs gerecht zu werden.
Mit diesen Vorsätzen hat es Michel Piccoli auf unzählige Bühnenauftritte und mehr als 200 Filmdarstellungen gebracht. Er bekennt, dass er riskante Rollen liebte, mit denen er das Publikum überraschen wollte. Perfekt erfüllt hat er diesen persönlichen Anspruch mit den Filmen »Themroc«, »Das große Fressen« und »Trio Infernal«, Romy Schneiders brutalem Abschied von ihrem Sissi-Image.
Rückhaltlos erzählt Piccoli von seinen drei Ehefrauen, seinen Filmpartnerinnen und den Begegnungen mit dem selbstbewussten Jean-Luc Godard bei den Dreharbeiten zu »Le mépris – Die Verachtung«, mit dem zu sarkastischen Scherzen aufgelegten Luis Buñuel sowie mit Alfred Hitchcock, der es auch bei Piccoli ablehnte, ihm die Vorgeschichte seiner Filmfigur zu erklären.
