Ein berühmter (Nach-)Name ist nicht immer lustig und einfach zu tragen, es kommt halt drauf an, wie man ihn trägt. Die Frage nach der berühmten Schwester Simone, einer Ikone des philosophisch-politischen Feminismus, ist schon inkludiert, wenn man sich mit der Malerin und zweieinhalb Jahre jüngeren Schwester Hélène beschäftigt. Aber ja, natürlich waren sie eng verbunden, und daraus macht die so überraschende Ausstellung in den Opelvillen auch überhaupt keinen Hehl. Gleich im ersten Raum läuft ein Video mit einem offenherzigen Gespräch zwischen den beiden, in dem sie ihre Kindheit memorieren, die dunkelhaarige Simone mit ihrem charakteristischen Kopfputz über den hochgebundenen Haaren, und die zarte, delikate Hélène. Gegen die Heldin-Heilige hat sich die Kleine stets zu wehren gewusst, sie erfand die Spiele, die Ältere gab ihr Unterricht. Wie sehr sie sich geliebt haben, wird diese Ausstellung später zeigen.
Überraschend deshalb, weil sich Hélènes Ruhm in Deutschland bis auf einige Auftritte in Galerien nie so richtig entfaltet hat. Die Opelvillen präsentieren jetzt die erste umfassende Würdigung dieser Künstlerin, obwohl: »Retrospektive, Werkschau« – das sind vielleicht zu nüchterne Begriffe für diese Ausstellung, die stets auch die gesellschaftliche Eingebundenheit von Hélène thematisiert. Bild für Bild, Jahrzehnt für Jahrzehnt begleitet sie die künstlerischen Suchbewegungen, die Verfestigungen eines Ausdrucks, um ihn dann doch wieder zerfließen zu lassen in etwas Neues, auch Chaotischeres, Wirbelndes. Hélène (1910–2001) ist eine Jahrhundertzeugin, nicht zu vergessen. Eine Malerin der Moderne – sicherlich – aber viel mehr auch eine feministische Malerin, die stets Frauenleben im Blick hatte, und ihr unterworfenes, sexualisiertes, gedemütigtes, verurteiltes, sich befreiendes Leben mit einer eigenen tiefen Sexualität immer wieder künstlerisch zu fassen versuchte.
Hélène begann schon in sehr jungen Jahren, sich zielstrebig eine Zukunft als Malerin einzurichten. Die hier zu sehenden frühesten Exponate zeigen Landschaftszeichnungen, da zählte sie grade mal 16 Jahre. Auch mit dem Kupferstich beschäftigt sie sich, Stichel und Stift ließen sich überall hin leicht transportieren. Und gleich daneben an der Wand lässt die Kuratorin Beate Kemfert Plakatentwürfe prangen, das berühmteste sicherlich »Le Joli Moi de Mai«, das sich auf die Pariser Mai-Unruhen 1968 bezieht.
Das Entree der sonst chronologisch aufgebauten Schau: Der Tod von Simone im Jahr 1986. Ein ganzer Raum ist diesen Gemälden gewidmet, in denen die Schwester den schmerzvollen Verlust verarbeitet. Zwei Frauen in einem wie ein Leporello aufgestellten Spiegel, die eine schreitet hindurch, die andere eilt hinterher, mit flehentlich erhobenen Armen. Da Hélène de Beauvoir ihre Lebensbeschreibungen mit dem Tod von Simone beginnt, lag es für die Kuratorin nahe, mit diesem Sujet auch die Ausstellung beginnen zu lassen.
Die Ehe mit einem französischen Diplomaten führte sie an verschiedene Orte, doch sie versuchte stets, ihre Eigenständigkeit zu schützen. Während ihres Aufenthalts in Norditalien entstanden Gemälde von Reisbäuerinnen, zusammengefasst in pastellfarbenen Prismen (»Mondine mit rotem Tuch«, 1953), strengen Geometrien, die sich aber stets um Wirbel aufbauen, nie ist eine Linie ungebrochen. So wie sie Bäuerinnen zum Sujet erklärt, so kämpft sie in späteren Arbeiten gegen patriarchale Strukturen: mit vielen weiteren prominenten Frauen wie Delphine Seyring und Marguerite Duras bezichtigt sie sich des Schwangerschaftsabbruchs, bezieht sich in ihren Arbeiten wie dem großformatigen Gemälde »Frauen leiden. Männer urteilen über sie« von 1977 darauf. Beschäftigt sich mit der Vertreibung der Bosnierinnen, thematisiert Massenvergewaltigungen. Diese jetzt erneut figurativen Arbeiten hat sie strikt geometrisch aufgebaut, mit gesichtslosen seriellen Richtern, vor denen sich eine einzelne nackte Frau in den Staub kauert: plakativ, agitatorisch.
Eine ganz andere Seite zeigt die Künstlerin als Illustratorin der Romane ihrer Schwester. Der Verlag Gallimard gab 1967 eine Sonderausgabe von »La femme rompue« mit 16 Kupferstichen heraus. Später dann erneut ganz andere künstlerische Mittel, aber auch ganz andere Themen. Für die weibliche Sexualität findet sie mit Tigern und Mohnblüten starke Bilder, schmerzerfüllt, zart, masochistisch, wild, und sie sind jetzt genauso leuchtend und ungezähmt wie ihre Pinselstriche.
Beate Kemfert muss sich jahrelang in Archive, Sammlungen, in Privatbesitztümer hineingegraben haben, um die hier versammelten 177 Werke – Kupferstiche, Aquarelle, Gemälde, Öl, Acryl, Holz, Leinwand, Karton – präsentieren zu können. Darin gespiegelt: das ganze Leben der Malerin. Was für ein Gewinn!
»Mit anderen Augen sehen« – Hélène de Beauvoir in den Opelvillen