»Mit Liebe und Chansons« von Ken Scott

Esther Perez hat schon fünf gesunde Kinder zur Welt gebracht. Doch nach der sechsten Entbindung erlebt sie eine böse Überraschung: Ihr kleiner Sohn hat einen verkrüppelten Fuß. Dass er lebenslang eine Beinschiene tragen muss, will die tatkräftige Mutter nicht hinnehmen. Sie verspricht ihm, er werde an seinem ersten Schultag wie die anderen Kinder ohne Behinderung zur Schule gehen. Und sie setzt alle Hebel in Bewegung, ihr Versprechen zu halten.

Leïla Bekhti spielt Esther Perez, eine sephardisch-jüdische Pariserin, die mit ihrer unglaublichen Energie einem ernsten Thema eine komödiantische Farbe verleiht. Diese temperamentvolle Frau ist einfach nicht zu bremsen. Auf ihrer Suche nach einer Therapie setzt sie all ihren Charme ein und bittet und bettelt. Doch die Mediziner sind der Meinung, der Fuß des kleinen Roland sei unmöglich zu reparieren, oder einige Zeit später, nachdem sie Operationsversuche nicht unternehmen wollten, der erregten Mutter erklären, sie hätte früher kommen müssen, jetzt sei es eben zu spät.
Weil Esther Beinschienen ablehnt, rutscht Roland (Naim Naji) in seinen ersten Lebensjahren auf dem Boden der Wohnung im 13. Pariser Arrondissement herum und lernt dort jede unebene Stelle kennen. Weil sie befürchtet, die anderen Kinder könnten ihn hänseln, lehnt die Mutter den Kindergarten ab. Und dies ruft wiederum die Fürsorge auf den Plan, die droht, Roland aus der Familie zu nehmen und in ein Heim einzuweisen.
Dabei verläuft das Familienleben ziemlich harmonisch. Der Vater versucht, seine Frau zu beruhigen, muss aber auch einsehen, dass es nahezu unmöglich ist, sie von dem abzubringen, was sie sich in den Kopf gesetzt hat. Erst recht, wenn es sich dabei um ihren Sohn handelt. Die Geschwister verhalten sich geradezu mustergültig, während der kleine Roland immer wieder mit großen Augen auf das Geschehen um ihn schaut.
Erst später, bei der literarischen und filmischen Bearbeitung seiner Kindheit – Grundlage des Films ist sein autobiografischer Roman – wird Roland Perez klar, dass Mutters Experiment schlimm hätte ausgehen können. Der Film reißt das Publikum hingegen durch Esthers Dynamik mit, und in ihm kommentiert der erwachsene Roland ironisch seine Behinderung.
Zurückschauend hat er gut reden, denn Mutter und Sohn landen schließlich bei einer Heilerin, die dem Jungen ein Stützkorsett und ständige Bettruhe verordnet, was zu übermäßigem Fernsehkonsum führt. Dabei lernt Roland Sylvie Vartan kennen, ihre Chansons lieben und deren Texte auswendig. Die Vartan wird noch persönlich am Ende auftauchen, was den Originaltitel »Ma mère, Dieu et Sylvie Vartan« erklärt.
Eine Art Wunder ist es allemal, dass Roland, auf eigenen Beinen laufend, mit einem Jahr Verspätung eingeschult wird. Doch im zweiten Teil des Films, der rund fünfzig Lebensjahre umfasst, muss er erfahren, wie tragisch das Leben auch verlaufen kann. Obendrein stellt sich nach dem Lobgesang auf Liebe und Opferbereitschaft einer Mutter heraus, wie anstrengend und einengend die Mutterliebe sein kann. Diese Frau werde er sein Leben lang nicht los, prophezeite eine Ballettlehrerin, die Roland vor den anderen Kindern bloßgestellt hatte und von Esther als Schande ihres Berufs abgekanzelt wurde. Sie wird recht behalten.
»Mit Liebe und Chansons« ist eine perfekt ausbalancierte Tragikomödie. Dem Franco-Kanadier Ken Scott, von dem das Drehbuch zu der unvergessenen Komödie »Die große Verführung« (The Grand Seduction) stammt, ist nach zweimaliger Lektüre von Roland Perez’ Buch eine exzellente Skript-Vorlage und daraus eine äußerst unterhaltsame filmische Umsetzung gelungen.

Claus Wecker / Foto: © Neue Visionen Filmverleih
>>> TRAILER
Mit Liebe und Chansons
von Ken Scott, F 2025, 103 Min.
mit Leïla Bekhti, Jonathan Cohen, Joséphine Japy, Sylvie Vartan, Jeanne Balibar
Tragikomöidie
Start: 27.11.2025

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