Dies ist wohl die poetischste, zarteste, glasperlenbunteste, sanfteste und lebensbejahendste Protestaktion gegen Ausbeutung, Kolonialismus, gegen alltägliche Gewalt, Herabwürdigung und Verfolgung von Andersdenkenden und – Lebenden, die man derzeit in Frankfurt, Hessen, in deutschen Museen besuchen kann: Stephanie Comilangs zutiefst menschenwürdige Kunstaktion in der Schirn. Fast kann man sich beglückwünschen, dass es sich die Schirn zur Verpflichtung gemacht hat, das jeweilige Gastland der Buchmesse – diesmal waren es Philippinen – auch künstlerisch zu präsentieren, denn dies ist ein Glücksgriff, eindeutig.
Die kanadisch-philippinische Stephanie Comilang (*1980) bespielt die kleinere Halle 2, über deren herausfordernde aber auch zauberhafte Industrieanmutung die Kuratorin Martina Weinhart nur ins Schwärmen gerät, was man gut nachvollziehen kann, passt diese Architektur doch hervorragend zur zeitgenössischen Kunst – und man mag den Besetzer*innen der Dondorf-Druckerei nochmals nachdrücklich für ihre Ausdauer danken. Die Schirn an diesem Standort, fast wünscht man sich eine längere Verweildauer.
Stephanie Comilang setzt dort an, wo ihre Ansicht nach alles ansetzen sollte: beim Zuhören. Ihre profunden Kenntnisse über Kolonialismus und seine Folgen, über Ausbeutung in herabwürdigenden Arbeitssituationen, (z.B. von philippinischen Hausangestellten in Dubai, Katar, Saudi-Arabien) über Heimatlosigkeit, Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, Vernichtung von Lebensgrundlagen ganzer indigener Gemeinden, z.B. der Badjao, Umweltzerstörung – sie wären einer Doktorarbeit würdig. Man könnte kirre werden angesichts der Fakten, die sie gesammelt hat – aber was sie daraus macht, ist einfach nur stark und wunderschön, eine Hommage an ihre Heimat, an die Menschen dort, die sich auch unter widrigsten Bedingungen einzurichten wissen. Man muss sich nur die Namen der Präsidenten vergegenwärtigen, die in den Philippinen regierten: Marcos, Duterte, Marcos – schlimmste Menschenrechtsverletzungen inklusive.
Science Fiction Documentaries nennt sie ihre flirrend-vielfältige Kunstform, die sie in drei Filmen zeigt, »Search for Life I« aus dem Jahr 2024, »Search for Life II« von 2025 und das während der Corona-Zeit 2020 entstandene Video »Diaspora ad Astra«. Ausgangspunkt ihrer ineinander verwobenen und schillernd ausgebreiteten Geschichten bilden stets die Philippinen. Sie lässt ihre Protagonisten erzählen, doppelt sie mit Bildern von den Märkten in Manila und Mexiko-Stadt, die Augen gehen einem über von der Farbenpracht und der Opulenz der Obst-und Gemüsesorten, der Gewürze, diesem ganzen prachtvollen Reichtum. Sie zeigt Perlentaucher, die mit nichts anderem als einer Tauchermaske ausgestattet sich in die unglaubliche Tiefe wagen, gedoppelt mit Bildern von der Arbeit in den Austernzuchtanlagen, wo die ausgeweideten Tiere einfach weggeworfen werden. Sie zeigt Glitzer-Dubai, Glitzer-Hochhäuser, eine junge Filipina in einer K-Pop-Band in einer völlig sterilen weißgeputzten Hochhauslandschaft, nie bewertend, nie kommentierend. Sie interviewt einen philippinischen Seemann, der eigentlich Maler werden wollte, Perlenzüchter*innen in China, Schmuckhändler*innen, Kunsthandwerker*innen und viele weitere mehr. Wir begegnen Träumen, Sehnsüchten, Alltagsleben.
Und Trauer. Trauer darüber, dass Menschen immer und immer wieder darauf angewiesen sind, ihre Heimat und ihre Familien zu verlassen, sei es aus politischen oder ökonomischen Motiven. Allein zehn Prozent der Filipinos arbeiten im Ausland, bringen dieses Opfer, um ihre Familien vor einem Leben in Armut zu bewahren. Stephanie Comilang hat dafür eine (natürlich wunderschöne) Metapher gefunden: den Monarchfalter, der aus seiner Migrationsroute aus Mexiko bis nach Kanada vier Generationen (ver-)braucht, wobei die Flügel immer heller immer leuchtender werden. Eine ebenso zarte Erinnerung an den Reichtum ihres Heimatlandes: die mit Monarchfaltern und Kaffee- und Kakaoblüten bestickten Gewänder aus Ananasfasern.
Stephanie Comilang kennt sie genau, die Mechanismen und Strukturen von Herrschaft und Ausgrenzung und Macht, sie zeigt, wie die Welt funktioniert – und dass man diejenigen lieben und schätzen muss, die am Rande stehen. Eine ganz fantastische Ausstellung.
Mit Perlen protestieren – »Stephanie Comilang – Coordinates at Dawn« in der Schirn