Die Republik ist empört, die Republik schäumt angesichts der ungeheuerlichen Überwachungsorgien durch die Siegermächte, ach nee, befreundeten Partnerstaaten. Schauen wir aber mal genauer hin, dann ist die Empörung je nach Gesinnungslage weder eindeutig zielgerichtet noch tatsächlich ehrlich vorhanden: Da gibt es halt jene, die eh schon wussten, dass alle unsere E-Mails von finsteren Mächten mitgelesen werden. Das sind die, die schon damals jedes Knacken im technisch weniger ausgefeilten analogen Telefonsystem der Bundespost wahlweise dem Verfassungsschutz, der CIA oder der Stasi als ungebetenen Zuhörern unterstellte. Oder im kleinen Maßstab war‘s dann auch mal die örtliche Polizei, die sich über Demonstrationsverabredungen informierte. So zumindest unser allgegenwärtiger Anfangsverdacht. Rasterfahndung (in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts entwickelte Spähmethode des damaligen BKA-Chefs Herold), Ausschnüffeln per Volkszählung in den Achtzigern (»Wie viele Personen leben in Ihrem Haushalt?«) und nun Prism, das ist doch für jeden Leser Orwellscher Zukunftsromane kalter Kaffee. Wer sich darüber aufregt, hat halt das autoritär-kapitalistische System immer noch nicht verstanden. Das sind dann auch diejenigen, die sich seit Jahr und Tag zum Beispiel dadurch schützen, dass sie die Rufnummerunterdrückung in ihrem Telefon einschalten (gab es zu alten Bundespostzeiten ja nur auf besonderen schriftlichen Antrag). Die rufen einen zwar an, weil sie eben die Telefonnummer haben, bilden sich aber ein, dass der Angerufene die eigene nicht wissen darf.
Dann gibt es da die anderen, die nun ehrlich verunsichert sind. Nur noch 29 Prozent von befragten Internetnutzern sehen seit den NSA-Enthüllungen ihre Daten im Netz als »sicher« oder gar »sehr sicher« an. 2011 waren es noch 42 Prozent, obwohl doch die monströsen Ausspähprogramme (Echalon) der amerikanischen Geheimdienste spätestens seit 2002 bekannt sind. Aber auf einmal hat sich die Erkenntnis und damit das Erschrecken durchgesetzt, dass wir ja seit Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft (und natürlich noch vielen anderen) unsere vom Bundesverfassungsgericht im damaligen Volkszählungsurteil garantierte informationelle Selbstbestimmung schon lange dem Kommerz, der Bequemlichkeit, dem Lifestyle, dem ständigen Mitteilungsbedürfnis freiwillig geopfert haben.
Und natürlich haben wir solche, die nun wahlkampfmäßig Morgenluft wittern. Endlich hat man was gefunden, um der anscheinend unangreifbaren Ikone deutscher Politik mal ans Bein zu pinkeln. Der selbst von Sigmar Gabriel in den Sympathiewerten übertrumpfte SPD-Kandidat (das »Kanzler-« kann man ja mittlerweile getrost weglassen) Steinbrück wittert Verfassungsbruch bei Angela Merkel, weil sie einfach keinen Schaden vom deutschen Volk abwenden will. Die allerdings wehrt sich mit einem bärenstarken Auftritt ihres Innenministers in den Vorzimmern US-amerikanischer Hilfsbeamten und dem klaren Sommerinterviewbekenntnis, dass auf deutschem Boden immer noch deutsches Recht gilt. Das merk dir mal, mein lieber Barack!
So tragen denn mittlerweile alle etwas zur Diskussion um das neue Cloud-Computing bei (aber ich glaube, da habe ich das mit der Datenspeicherung in der Cloud möglicherweise missverstanden). Nur die eigentlichen, zumindest die selbsternannten Hüter der Internetfreiheit sind abgetaucht. Aber vielleicht wird das Piratenschiff ja gerade vorbereitet, um Edward Snowden ein Asyl anbieten zu können, irgendwo da draußen außerhalb der Drei-Meilen-Zone.