Intim, brutal und erotisch
Durch die Blume sprechen selbstredend alle 90 Werke von 26 Künstlern, mit der Christina Leber, die Kuratorin und Leiterin des Art Foyers der DZ-Bank, ihre aktuelle Fotografie-Schau »Blütezeit« bestückt hat. Allerdings tun das die drei dreiteiligen Schwarzweiß-Sequenzen von Helmut Schweizer auf die brutalstmögliche Weise in Bild und Schrift. »Blüte umknicken«, »Blüte abreißen« »Blütenblätter umbiegen« titeln die vertikal gehängten Triptychons völlig humorlos und zeigen exakt das, was sie vorgeben, im Vorher-Während-Nachher-Zyklus: erst eine formschöne Tulpe im Naturzustand, dann den menschlichen Eingriff durch eine Hand und schließlich dessen ernüchterndes Ergebnis. Von Kontemplation kann hier keine Rede sein, dafür aber von einem Grummeln der Empörung in der Magenpartie wie auch von reflexhaften Züchtigungsphantasien des Betrachters. Noch sensiblere Naturen mögen ob der demonstrierten Bestialität über die Wiedereinführung der Todesstrafe sinnieren.
Die Blumenbilderschau am Platz der Republik geizt auch sonst nicht mit Steil- und anderen Vorlagen für Schnellerreger. Als »pure Erotik« stellt die Kuratorin (und Leiterin) Christina Leber zwei Großformate aus der Serie des Japaners Nuboyoshi Araki von 1992 und 1994 vor, der vielen durch seine provokanten Akte mit gefesselten Frauen im Museum für Moderne Kunst bekannt sein dürfte. Auf dem einen rückt er einer in schwülstigem Bordeaux-Rouge präsentierten Calla derart dicht auf den Leib, dass man von einer Verletzung der Intimsphäre sprechen könnte. Auf dem anderen lässt der leicht verwischte rote Blütenstaub am weißen Blütenkleid auf eine eher gewaltsame Defloration schließen. Konfrontiert werden die beiden Arakis mit einem Frauenakt von Bettina Rheims vor einer farbüberfluteten Blumentapete. Hier, im sinnlichen Zentrum des Foyers, hängen auch Imogen Cunninghams »Two Callas« von 1925 und die dank besonderer Scan-Technik fast räumlich erfahrbaren spektakulären Tulpenarrangements der Brasilianerin Luzia Simons von 2009 und 2012.
Jean Luc Moulène lichtete 1996 ein kraftvoll scheinendes Ensemble Blumen ab, das sich bei näherem Hinsehen als ein pflanzlicher Abfall von Gärtnerarbeiten in einem Park erweist. Als eine kaum durchschaubare Collage disparatester Landschaften entpuppt sich der Konnex von Blumenwiese und Eisberglandschaft in Peter Hutchinsons Arbeit von 1992. Und in Australien spiegelt Rosemary Laing die koloniale Vereinnahmung dieses Kontinents in »groundspeed #7« wieder, auf dem sie dem endemischen Regenwald einen Blümchenteppich so einverleibt, dass man beides nicht mehr auseinanderhalten kann.
Eindrucksvoll, aber auch verschlüsselt ist die Arbeit von Anne und Patrick Poirier, die vorderhand zwölf leicht angegilbte knittrige und mit ihren Blütenstaub-besprengte Lilienblätter zeigt, denen rote Wort-Tattoos eingebrannt scheinen. Es sind die ehedem weißen Blütenblätter einer Lilie, die in der christlichen Symbolik für die Reinheit und Unbeflecktheit Marias steht und nun von »Sex«, »Hunger« oder auch »Wounds« kündet. Das französische Künstlerpaar spielt in seiner »Fragility« genannten Arbeit überdies mit dem politischen Kontext der Wappenblume, dem sprachlichen Gleichklang des Imperativs »Lies!« und dem Genre der Fotografie. Ein Wunder nur, dass die 98er fehlen.