Hungrige Augen: »Chameleon« – Abe Frajndlich im Fotografie Forum Frankfurt

Vielleicht gibt es kein lässigeres Kompliment für die Augen eines Fotografen? Es sei hundertfach über Abe Frajndlich ausgeschüttet, den das Fotografie Forum jetzt mit einer Schau von 160 Werken ausstellt – wobei ursprünglich 650 ins Blickfeld der Kuratorin Celina Lunsford gerückt waren, von eigentlich 2000 … aber wo soll man sich schon beschränken bei einem so überbordenden Künstler, der so leicht, so selbstironisch, so hintergründig, verspielt und todernst, Porträts mit stets doppeltem Boden geschaffen hat? Berühmte Künstler, unberühmte Menschen, Aufnahmen der Butoh-Tänzerinnen Rosebud Conway und Minami Azu, erotische Aufnahmen sanfter weiblicher und weicher männlicher Haut, Körper, Busen wie Blumenkelche, Stadtlandschaften aus verblüffenden, fast unschönen Perspektiven. Wie das römische Kolosseum als Ruine hinter einer Ruinensäulenparade im gräulich trüben Winterlicht.
Ein Gang durch das Fotografie Forum gleicht einen Gang durch seine künstlerische Biografie, die so lebensprall und neugierig ist wie er selbst. Abe Fraijndlich wurde 1946 in dem damals aufgeschlagenen Lager für Displaced Persons in Zeilsheim geboren, das nicht fürs Bleiben ausgerichtet war. Hier wurden Überlebende des Zweiten Weltkrieges irgendwie untergebracht, und die Familie schaffte es tatsächlich nach Palästina. Nach dem Tod des Vaters kehrte die Mutter nach Frankfurt zurück, wo er in der Linnéschule eingeschult wurde, und es gibt in einer extra aufgebauten Biografievitrine eine Aufnahme von Abe mit Schultüte vor dem Sandsteinportal mit den hohen Säulen, die er in besonderer Erinnerung hat. Sein Bleiben irgendwo auf der Welt war nie von langer Dauer, er lebte in Paris, dem brasilianischen Porto Alegre, bis er dann in Cleveland, Ohio sesshaft wurde, weil ihn eine seiner Tanten nach dem Tod der Eltern adoptierte. Ständig neue Einschulungen, ständig neue Freunde. Was davon geblieben zu sein scheint: der Kontrapunkt einer Verbitterung, nämlich die unerschütterliche Liebe zu Menschen, und zwar zu allen.
Man muss nicht zwangsläufig Biografisches zur Erklärung einer Kunstbiografie heranziehen, aber in diesem Fall vielleicht schon? Liebe zu den Menschen spricht aus seinen Porträt-Fotografien, da er den Personen stets eine Bühne bereitet, die er sorgfältig mit vielen Bezügen komponiert hat. Könnte man sich beispielsweise einen sprechenderen Rahmen vorstellen für den berühmten mexikanischen Schwarz-Weiss-Fotografen Manuel Alvarez Bravo als vor einer blaugetünchten Wand voller Verwitterungsspuren (Achtung: das blaue Haus von Frida Kahlo und Diego Rivera, für den er arbeitete) aus einem Dickicht stacheliger Nopal-Kakteen stoisch hervorlugen zu lassen? Oder den superentspannten Jack Lemmon mit zwei Zitronen als Stiel-Brille?
Wer liebt Jane Fonda nicht für ihr Engagement gegen den Vietnamkrieg, und genauso, wie in einer zufälligen Begegnung, zeigt sie ein Porträt aus dem Jahr 1970, als sie offenbar an einer Kundgebung auf einem Uni-Campus teilnimmt, mit ihrer Frisur, die sie in »Klute« trug und die sie zur Ikone machte. Rosebud Conway und expressionistische Aufnahmen ihrer Butoh-Performances werden ergänzt durch eine Porträtaufnahme von Minami Azu mit stark geschminktem Gesicht im Picasso- Stil der Verfremdung und Verdopplung.
Und einem der stilprägendsten Personen wird man im Ausstellungsparcours wiederbegegnen: dem legendären US-amerikanischen Fotografen Minor White, der mit seiner philosophisch aufgeladenen Bildsprache der Natur unverrückbare Marksteine setzte und eine wesentliche Ikonografie Nordamerikas schuf. Bei ihm ging Abe Frajndlich in die Lehre, wenn man so will. Seine Aufnahme des Eiffelturms von der Aussichtsplattform hinunter könnte eine Hommage an Minor White sein. Man erkennt das Gebäude an den berühmten Eisenstrukturen, die sich wie Lichtmuster über einen Teppich aus Passanten breiten – eine konterkarierende Perspektive, falls es so etwas gibt, dann ist es das.

Susanne Asal / Foto: Jane Fonda, Cleveland, Ohio, 1970, © Abe Frajndlich, 2023
bis 17. September: Di.–So., 11–18 Uhr
www.fffrankfurt.org

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