Der heilige Zorn
Uwe Ritzer, Olaf Przybilla: Die Affäre Mollath
Gustl Mollath ist, mittlerweile zu seinem großen Glück, bekannt geworden – durch Funk, Fernsehen und die Süddeutsche Zeitung – als bayerisches Justizopfer. Und er ist, zu seinem Unglück, Opfer geblieben: von Ignoranz, Unfähigkeit, Schlamperei und einer unglaublichen Arroganz der bayerischen Richter. Hätte der Mann seine Frau erstochen, wäre er, wegen Totschlags zu maximal zehn Jahren Haft verurteilt, gute Führung vorausgesetzt, längst wieder frei. Gustl Mollath hat aber seine Frau – angeblich, ihr Vorwurf blieb unbewiesen – gewürgt und wurde deshalb, als gemeingefährlich, in die Psychiatrie eingewiesen. In seinen Wahnvorstellungen habe er zudem seine Frau der Geldwäsche bezichtigt. Sein Vorwurf allerdings wurde 2003 durch ein internes Gutachten der betroffenen Bank bestätigt. Seine »Wahnvorstellungen« lassen sich beweisen. Alle Vorwürfe gegen ihn sind aus der Luft gegriffen. Doch der Mann sitzt nach wie vor in der Psychiatrie. Das Buch der beiden SZ-Redakteure Uwe Ritzer und Olaf Przybilla: »Die Affäre Mollath. Der Mann, der zu viel wusste« (Droemer Verlag, München 2013, 238 S., 19,99 €) beschreibt diesen unglaublichen Justizskandal, so spannend wie ein Krimi. Die Autoren nennen die Verantwortlichen beim Namen. Richter, sog. Gutachter, Ministeriale. Ein geschlossenes System. Wehe dem, der in dessen Fänge gerät. Jeder vernünftige Leser dieses Buchs wird von einem heiligen Zorn ergriffen.
Wirklich irre
Masha Gessen: Der Beweis des Jahrhunderts
Der russische Mathematiker Grigori Perelman löste eines der größten noch verbliebenen mathematischen Rätsel des 20. Jahrhunderts. Dafür war ein Preisgeld von einer Million Dollar ausgesetzt. Perelman, im Grunde mittellos, weigerte sich, den Preis anzunehmen. Er brauche kein Geld. Er lehnte ebenso Rufe in alle Welt ab. Er bezeichnete sogar die schriftliche Bestätigung dieses Rufs als »aufdringlich«. Der Mann ist also tatsächlich ver-rückt. Und zugleich ein Genie. Wieso sich beides bedingt, das beschreibt Masha Gessen in einem faszinierenden Buch. Von Mathematik muss man nichts verstehen, wenn man verstehen will, welchen Preis solche genialen, also unmenschlichen Leistungen von den Menschen verlangen. (»Der Beweis des Jahrhunderts. Die faszinierende Geschichte des Mathematikers Grigorij Perelmann«, Suhrkamp Verlag, Berlin, 322 S., 22,95 €)
Der entscheidende Wurf
John Grisham: Home Run
Ein guter Zeichner braucht nur wenige Striche, um das durchaus nuancierte Bild eines Menschen zu skizzieren. Diese Kunst, sie gilt natürlich auch für Schriftsteller, hat der späte Philip Roth bis zur Perfektion entwickelt. Und John Grisham zeigt in seinem neuen kleinen Roman »Home Run« (Aus dem Amerikanischen von Bea Reiter, Heyne Verlag, München, 2013, 269 S., 17,99 €), dass auch er diese Kunst beherrscht. Lakonisch, nüchtern, sehr genau beschreibt er zwei tragische Lebensläufe, die so ineinander verschränkt sind, dass wir hinter den Typen, die dargestellt werden, die lebendigen Menschen erkennen. Der Erzähler, der »ich« sagt, dem nehmen wir das in jeder Sekunde ab. Auch wenn es, fast ausschließlich, um Baseball geht, den amerikanischen Nationalsport, zielt Grishams Roman weit darüber hinaus. Grisham, spannend wie immer, hat dem Roman, für die Sportsfreunde unter seinen Lesern, noch eine kleine, sehr lehrreiche Einführung in diese Sportart angefügt.
Die beste aller Welten
Jerome Ferrari: Predigt auf den Untergang Roms
Ein Bar in einem kleinen Dorf auf Korsika. Da geht vieles schief, bis zwei Philosophie-Studenten, Libero und Mathieu, die aus der Gegend stammen, den Laden übernehmen. Sie legen Leibniz beiseite und Augustinus auch, und haben dank Annie sofort großen Erfolg. Diese junge Kellnerin hatte die Angewohnheit, ihre männlichen Gäste mit einer kurzen, aber nachhaltigen Zärtlichkeit zu empfangen, nämlich einem Griff »an die Eier«. Es scheint für einige Zeit zumindest so, als gäbe es sie doch: die Beste aller Welten. Und es zeigt, dass sich in dem kleinen Kaff eine ganze Welt abspiegelt: Familiengeschichten, französische Kolonialgeschichte, das 20. Jahrhundert mit seinen beiden großen Kriegen. Alles ist da, in oft fast endlosen Sätzen, also kunstvoll ineinander verflochten. Kein Wunder, dass Jerome Ferrari (»Predigt auf den Untergang Roms«. Aus dem Französischen von Christian Ruzicska, Seccession Verlag, Zürich, 2013, 196 S., 19,95 €) für diesen Roman den Prix Goncourt erhalten hat.
Der amerikanische Traum, mit dem Auto abgefahren
Geert Mak: Amerika!
Das Buch hat den schlichten Titel: »Amerika! Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten«, Siedler Verlag, München 2013, 621 S., 34.99 €. Der holländische Journalist und Schriftsteller Gert Mak hat sich mit dem Auto auf den Weg gemacht, genau fünfzig Jahre später, die Route abzufahren, die der amerikanische Nobelpreisträger John Steinbeck 1960 für seine »Reise mit Charley. Auf der Suche nach Amerika« gewählt hatte, von Sag Harbor, etwas nördlich von New York, über Maine, quer durchs Land an die Westküste, in den Süden und zurück. In Maks faszinierendem Buch lernt man Steinbeck und dessen Reise kennen, man sieht die Veränderungen des Landes und erfährt, anekdotenreich beschrieben, viel über die Geschichte Amerikas. Kurzweilig, informativ, wirklich lesenswert.
Dicht am Wasser
Jean-Luc Bannalec: Bretonische Brandung
Jean-Luc Bannalec, Pseudonym eines Frankfurter Verlagsleiters, hat nach seinem ersten Bestseller-Erfolg, jetzt seinen zweiten Bretagne-Krimi nachgeschoben. »Bretonische Brandung« (Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2013, 352 S., 14,99 €) Nach einem schweren Sturm werden an dem idyllischen Strand der Glénan-Inseln drei Leichen angeschwemmt. Erst sieht es ganz nach einem Unfall aus, doch was verbindet die drei Männer? Kommissar Dupin, eigenwillig und deshalb vor einigen Jahren an die Küste strafversetzt, muss ständig mit enormen Mengen von Kaffee gegen seinen niedrigen Blutdruck ankämpfen. Trotzdem kniet er sich voller Energie in diesen Fall, sieht aber anfangs wenig Land. Je mehr sich Dupin mit den Eigenheiten der bretonischen Menschen und ihren Überzeugungen gefasst, um so spannender wird die Geschichte. Bretagne-Besucher können dieses Buch zudem als liebevoll-detailreichen Reiseführer nutzen.